»Ein Fall wie in zehn Jahren einmal«

■ Wohnungsbetrüger gestand, bengalischen Grass-Übersetzer mit Scheinvermietung reingelegt zu haben/ Doch die Rechtslage macht das Verfahren zu einer Groteske

Berlin. Manchmal braucht ein Schriftsteller seine Geschichten nicht mehr zu erfinden. Dawood Haider, bengalischer Autor und Übersetzer von Günter Grass, aber auch Opfer eines Ostberliner Scheinvermieters, erlebt derzeit solch eine Groteske. So einen juristisch vertrackten Fall, sagt sein Anwalt Christoph Müller, gäbe es »in zehn Jahren einmal«.

Wie die taz bereits berichtete, hatte ein Ostberliner namens Ralf K. dem händeringend nach einer Wohnung suchenden Autor eine solche in Friedrichsfelde angeboten. Dawood Haider freute sich, zahlte über tausend Mark Abstand und Miete im voraus und zog im März ein. Was er nicht wußte: In Wirklichkeit hatte Ralf K. die Wohnung selbst gemietet, offenbar, um sie gegen gutes Geld weiterzuvermieten. Das kam heraus, nachdem dem Autor nach vier Tagen der alte Wohnungsschlüssel abbrach und er den Schlüsseldienst bestellte. Mit dem Hinweis, sie kenne diesen Herrn nicht, unterband die wirkliche Hausvermieterin Gabriele St. den Einbau eines neuen Schlosses. Dawood Haider stand vor verschlossener Tür und kommt seitdem an seinen gesamten Hausrat nicht mehr heran — jetzt seit über fünf Monaten. Er stellte Strafanzeige wegen Verdachtes auf Betrug und schaltete, allerdings erst vor einem Monat, besagten Anwalt ein.

Daß Ralf K. mittlerweile ausfindig gemacht wurde, auch noch freiwillig zur polizeilichen Vernehmung erschien und die ganze Sache gestand, nützt dem Schriftsteller und Journalisten jedoch gar nichts. Seine Bücher, sein Arbeitsmaterial, seine Hemden, seine Teppiche lagern immer noch hinter der versperrten Tür. Eine einstweilige Verfügung gegen den mutmaßlichen Kleinbetrüger zur Herausgabe der Habe wäre im März noch erfolgversprechend gewesen, erklärte sein Anwalt die juristische Crux. Jetzt aber, nachdem Haider sich schon so lange mit anderwärtigen Socken und Hosen behelfen mußte, würde wohl kein Richter die »Eilbedürftigkeit« der Sache anerkennen. Bleibt der Weg einer normalen Zivilklage, die etwa zwei Monate bis zum Abschluß benötigt. Für eine Beschlagnahmung, so der Anwalt, verlange das Gericht aber eine detaillierte Liste sämtlicher Gegenstände, damit der Gerichtsvollzieher die richtigen erkennt. Nun steht Dawood Haider vor dem unlösbaren Problem, jede Kleinigkeit aus seinem gesamten Hab und Gut erinnern und die Farbe und Größe jeder einzelnen Unterhose angeben zu müssen. Außerdem soll er jeden Titel seiner über hundert Bücher auflisten.

Selbst wenn er diese geniale Gedächtnisleistung perfekt vollbringen würde, wäre ein weiteres Problem für die ordentliche deutsche Bürokratie noch nicht gelöst. Denn wie zum Teufel soll der Gerichtsvollzieher die rund 80 bengalischen Buchtitel lesen können? Muß er nun erst einen Schnellkurs in bengalischer Schrift absolvieren? Dawood Haider wird wohl noch Monate auf sein betrügerisch hinterzogenes Eigentum warten müssen. usche