Denkmal im minoritären Bereich

■ Der 4. Neuköllner Kulturpreis geht an den Karin-Kramer-Verlag

Neukölln hat einen Stadtrat für Volksbildung und eine Karl- Marx-Straße. Das prädestiniert für rote Fahnen, viel Bier, klasse Parolen und fürderhin für manche Projektion aufs Hauptstadtleben in der Banlieue.

Noch aber fehlt das liebliche Brausen vom nahen Stadtring, ohne das ein Vorort kein Vorort wäre. Den ersetzt vorübergehend die Sturzflug- Schneise auf Tempelhofs Nazi- Denkmal, quer weg über den Saalbau Neukölln mit seinen funkelnden Wachstischdecken, wo der Stadtrat für Volksbildung just unter besonderer Berücksichtigung der »Vergessenen und Querdenker« den vierten Neuköllner Kulturpreis 91 verleiht. Ausgeschrieben vor einem Jahr für 16 Neuköllner Kleinverlage, blieben zuletzt noch ganze fünf Anwärter übrig, gestandenes rotes Vorstadtprogramm aus westdeutscher 68er-Tradition: die linken Sozis vom DVK- Verlag, ein neugewandter Oberbaum Verlag mit Schwerpunkt Dissidentenliteratur, die Anarchisten Libertad und Karin Kramer.

Letztere, die Renommierteste, holte sich den 10.000-Mark-Preis und produzierte damit in ihrer Ladenwohnung im Böhmischen Dorf aus gegebenem Anlaß ein Buch über Denkmäler. Noch einmal schweben, kippen, liegen — hier fotomechanisch verewigt — alle Lenins des osteuropäischen Erdteils; ein Monument, belichtet im Prozeß seiner Geschichtswerdung, in der Metamorphose zum Dokument von und für Auseinandersetzungen... die man an diesem Feierabend im Neuköllner Festsaal bei der Vorstellung des Buches jedoch tunlichst vermeidet. Noch immer ballt zwar Ernst Thälmann am Prenzlauer Berg seine Granitfaust, und weiterhin warten über 400 realsozialistische Monumente allein in Ost-Berlin auf den Kommissionsentscheid über ihre Zukunft. Aber mit der Auseinandersetzung über den Lenin vom Friedrichshain sind die Argumente getauscht und die Emotionen kanalisiert. Die Diskussion um die Rhetorik des Denkmals — dokumentiert und fortgeführt in Karin Kramers »Demontage. Revolutionärer oder restaurativer Bildersturm« — drehte sich noch um die Verwandlung des Denkmals zum denk mal: Frieder Butzmann, der Musikprofessor, war für die allegorische Lösung, für den mit Knöterich überwucherten Lenin; auch die symbolische Lösung, den schräg abgesenkten Lenin, fand, wie man weiß, manch einen Befürworter, und Alfred Hrdlicka stritt ganz im Geiste der achtziger Jahre für Verschiebungsarbeit: »Mein Vorschlag: Anstelle der demontierten Leninstatue soll man Serras Eisenstele aus Bochum ankarren — eine vergleichbare Größenordnung — und Lenin in Bochum aufstellen.« Zum Festakt aber kam dieses Buch zu spät. Vorgestern, im Neuköllner Saalbau, wollte sich keiner mehr hergeben zur Mühsal der Rhetorik für ein Denkmal, das in der Kiesgrube des Polizeischießplatzes von Seddinburg den Mauerspechten vorgeworfen ist. Die Semiotiker führten das Wort, vorneweg Thomas Kapielski, der lichtbebildert-anschaulich dem »Denkmalerischen« an sich genialisch-klassifikatorisch zu Leibe rückte und unter Rotunden, Bismarck-Hallen, Triumphbögen, Naturdenkmälern den Unfall als stille Größe im Denkmalsbau und den Grabbau als seine tiefste Schicht aufdeckte. Seine Beweise dafür auf und hinter zahllosen — zerknautschten — Kühlerhauben untermalten ein Plädoyer für die Freude am Denkmal im minoritären Bereich, »während uns die Lenins eigentlich scheißegal sein können«. F. von Klinggraeff