»Filme spiegeln ihre Zeit«

■ Bernardo Bertoluccis »Vor der Revolution« als deutsche Erstaufführung im Moviemento

Es ist das Jahr 1962 in Parma. Drei Mädchen verteilen Abzeichen auf dem alljährlichen Sommerfest der KP-Zeitung Unita. Eine von ihnen erzählt, was andere Zeitungen berichten: Marilyn Monroe hat Selbstmord begangen. Die Szene, obwohl fast am Schluß, intoniert den Grundton von Bernardo Bertoluccis 1964 entstandenen Film »Vor der Revlution«. Die sechziger Jahre und ihre zerschundenen Hoffnungen können beginnen.

Bertoluccis elegisches Epos war hierzulande bisher nicht zu sehen. 28 Jahre später erlebt seine Geschichte vom Bürgersohn Fabrizio aus Parma ihre deutsche Erstaufführung. Fabrizio (Francesco Barilli) öden die gesellschaftlichen Konventionen an. Im Marxismus glaubt er eine neue Lebensmaxime zu finden. Doch zuguterletzt findet er in den sicheren Schoß der Familie zurück.

Die cineastische Ausgrabung läßt einen voller Zwiespalt zurück. »Filme spiegeln ihre Zeit« sagt einer zu Fabrizio. Bertoluccis schöne Panoramakamera-Ansichten belegen die uralte Teilung seiner Geburtsstadt Parma, mit der er »noch offene Rechnungen« zu begleichen glaubte, in Arm und Reich, in »diesseits und jenseits des Flusses«. In kunstvollen Bildern und auf der Suche »nach verlorener Schönheit« erzählt der damals 23jährige Regisseur vom emotionalen Aufruhr gutsituierter Bürgerkinder: »Meine leidenschaftliche und romantische Einstellung zum Marxismus stand unter dem Zeichen der Angst, früher oder später wieder von der Bourgeoisie vereinnahmt zu werden, aus der ich stammte.«

Die Qualen der jungen Bürgerlichen, ihre ernste Debatten und Stimmungswechsel ermüden. Depressionen und Weltschmerz bestimmen das Leben. Ihr Engagement für Politik, Gesellschaft und Natur verkommt zur Attitüde. Der Sieg am Ende von Bourgeoisie und Konvention gleicht einem Lehrstück. Fabrizio, der gerade noch an den Akt der Befreiung glaubte, ist verwirrt über den Selbstmord seines Freundes. Agostinos (Allen Midgette) Eltern waren »einfache Leute«. Er schämte sich ihrer. Die Partei, in Gestalt des asketischen Volksschullehrers Cesare (Morando Morandi), hat darüf keine Antworten.

Es ist Ostern. Gina (Adriana Asti), Fabrizios attraktive Tante, kommt aus dem großstädtischen Mailand ins katholische Parma zu Besuch. Sie verlieben sich ineinander und beginnen ein Verhältnis. Gina leidet jedoch unter unerklärlichen Nervenzuständen. Um ihren Ängsten zu begegnen, geht sie mit einem anderen ins Bett. Fabrizio reagiert gekränkt. Ginas Dasein irritiert ihn zutiefst. Ihren Blicken kann er nicht standhalten. Sie bleiben unerwidert. Gina reist ab. Fabrizio fügt sich und heiratet die reiche Clelia (Cristina Pariset), wie vorgesehen.

Für den Opportunisten Fabrizio entpuppt sich Sünde als »nichts anderes als ein Vergehen gegen die alltägliche Sicherheit«. Ginas Abreise und der einsame Tod der Hollywood- Diva erzählen wie mörderisch es sein kann, Konventionen zu sprengen. Fabrizios Unbehagen über den papiernen Reformeifer der Partei, seine »education sentimentale« lösen dagegen kaum Anteilnahme aus. In endlosen poetologischen Reden wird der eigene Nabel bestaunt, die eigene Empfindsamkeit zum Maß aller Dinge erhoben, denn »wer die Jahre vor der Revolution nicht erlebt hat, kennt nicht die Süße des Lebens«. Auch am Abgrund, der kaum das Wort verdient, kommt es auf Haltung an. Yvonne Rehhahn

Bis 19.8. um 21.45 Uhr im Moviemento 1, Kottbusser Damm 22