Immer wieder von Gorillas verprügelt

TV-Retro zum 75. Geburtstag des Mannes, der so aussieht, als ob jemand in seinem Gesicht geschlafen hätte  ■ Von Manfred Riepe

Am 6.August 1917 erblickte Robert Charles Duran Mitchum das Licht der Welt. Zwei Jahre später wurde sein Vater, ein Eisenbahn-Rangierer, zwischen den Puffern eines Güterzugs zermalmt. Mal bei der mittellosen Mutter, mal bei Verwandten wurde Bob immer mit neuen Umgebungen und neuen Jungs [nur mit „jungs“? k'in] konfrontiert. Nicht mehr als nötig reden, fluchen und keiner Schlägerei aus dem Weg gehen war seine Überlebensstrategie.

Da er mit diesen Methoden laut seiner Mutter weniger Freunde als Anhänger gewann, wurde dem kontaktscheuen Kind zwecks Sozialisierung ein Musikinstrument verordnet. Als Robert während eines Konzerts einem Mitschüler einen Feuerwerkskörper ins Blasinstrument warf, wurde er der Schule verwiesen und trampte die folgenden Jahre als Wanderarbeiter mehrere Runden durch die USA. Als Landstreicher verhaftet, mußte er — in Ketten gelegt — schuften. Sein Bein entzündete sich bei der Flucht. Mit letzter Kraft schaffte er es zu seiner Mutter, die eine Menge Eiter aus dem Bein quetschte, das um ein Haar amputiert wurde.

Mit Roosevelts „New Deal“ gab es endlich Arbeit. Bei Lockheed jobte Mitchum mit Norma Jeans damaligem Ehemann James Doughtery. Abends spielte er auf Kleintheater-Bühnen und kratzte das Geld zusammen, um 1940 Doris zu heiraten. Der einzige Star, der zeitlebens mit der Frau zusammenblieb, die er vor seinem Ruhm kennenlernte.

Mitchum ist ein geselliger Typ und begnadeter Geschichtenerzähler. Einmal beim Abendessen schilderte er einer Bedienung so plastisch, wie er seinen rechten Arm in einer Ankerkette verloren hatte, daß dieser die Tränen übers Gesicht liefen, obwohl er beim Erzählen mit beiden Armen gestikulierte. Selbst der ausgebuffte Talkmaster Dick Cavett, der bis dahin jeden vorgeführt hatte, bekam mit Mitchum Probleme.

In Kontakt mit dem Lichtspielgeschäft kam Mitchum auf einfache Weise: „Versuch's doch mal beim Film“, sagte seine Mutter mal so nebenbei. Produzent Harry Sherman, bei dem Robert daraufhin vorsprach, hatte wohl irgend etwas verwechselt: „Ich höre, daß Sie mit Pferdeabrichten draußen in Laredo Ihr Geld verdienen.“ Darauf antwortet Robert wohl das einzig Richtige: „Klar, ich bin mit ein paar Pferden fertig geworden.“ Kurze Zeit später trat er als bärtiger Schurke in einem Hopalong- Cassidy-Western auf.

Noch im selben Jahr 1943 spielte der 26jährige in 19 Filmen mit. Bis 1984 waren es 101. Dazu Mitchum: „Ich bin im Filmgeschäft wegen meinem Ego. Ich habe ein tiefes Bedürfnis, meinen Gärtner zu beeindrucken.“ 1968 resümierte der Mime seine Karriere: „Ich habe denselben Film hundertmal wieder und wieder gemacht. Ich habe nicht einmal mehr die Drehbücher angeschaut, weil ich wußte, daß selbst wenn sie von Baudelaire oder Balzac geschrieben worden wären, auf Seite 20 ein paar Gorillas herausgesprungen kämen und anfangen würden, mich zu vermöbeln.“

Da Mitchum das Schauspielen als „unmännlich“ empfand, hat er nie gespielt, sondern nur dargestellt. Ob Detektiv, Cowboy oder Millionär, er war immer der gleiche Typ. Mitchum ist „der Fremde“, der „nur seinen Job macht“, wobei er seine Aufrichtigkeit daher bezieht, daß er sich stets dem moralischen Codex unterwirft. Er ist kein linkischer Neurotiker, der die Dinge zu seinen Gunsten beeinflussen will. Er hat die Ausstrahlung desjenigen, der das Leben auf der Straße kennengelernt hat und akzeptiert, daß der geringste Fehltritt ihn wieder dorthin zurückbringen kann.

Mitchum wird von Regisseuren wie Howard Hawks, John Huston, Elia Kazan, Nicholas Ray und Joseph von Sternberg als ein hundert Prozent aufs Handwerk konzentrierter Profi und vorbildlicher Arbeiter geschätzt. Er spielte unter anderem mit Kirk Douglas, Marilyn Monroe, Robert De Niro, Laurel & Hardy, Edward G. Robinson und Spencer Tracy, blieb dem dekadenten Star- Pöbel aus Hollywood privat jedoch fern.

Sein Understatement ist ohne Kalkül: Die müden Augen und der stoisch-lakonische Ausdruck sind auf seine chronischen Schlafstörungen zurückzuführen, die er nur einmal überwand, als er 1948 wegen Mariuhanabesitz verhaftet wurde und zwei Monate lang in einem Arbeitslager nachts endlich mehr als zwei Stunden am Stück schlafen konnte. Die abgeklärte Coolheit geht auf das Konto seiner Trinkgewohnheiten: „Mitchum taucht immer äußerlich völlig kalt auf, nachdem er eineinhalb Flaschen Tequilla mit seinem Bewährungshelfer getrunken hatte, der noch besoffener war als Mitchum“, berichtete Don Siegel von den Dreharbeiten zu „The Big Steal“. Die letzte Entziehungskur hat er 1984 erfolgreich überstanden: „Der Durst war stärker.“

Da Mitchum sich seine Filme nie anschaute, weil er, wie er sagt, vor dem Kino nie einen Parkplatz fand, konnte er nicht wissen, daß unter all seinen Boy-meets-Girl-Schmacht- Melos ein paar gute Filme dabeiwaren. Nur ein Telefonanruf von Rechtsaußen verhinderte beispielsweise, daß Mitchum 1947 für Edward Dymtryks Anti-Antisemitismusfilm „Crossfire“ einen „Oscar“ erhielt. „Goldenes Gift“ (Out of the Past, 1947) von Jaques Tourneur, mit dem das ZDF heute eine siebenteilige Reihe startet, ist ein düsterer Film Noir, in dem Mitchum statt der langweiligen Landpommeranze (Virginia Huston) wiedermal die Femme fatal (Jane Greer) wählt, die ihn am Ende dafür erschießt. Sat1 bringt die „Todfeinde“ (Five Card Stud) aus dem Jahr 1968 und N3 „Mörder ohne Maske“ (Second Chance) von 1953. Auf BR3 läuft unterdessen noch eine US-Dokumentation „Robert Mitchum — Star wider Willen“ von 1990.

Zur Zeit steht der Mime wieder vor der Kamera: Der Fotograf und Regisseur Bruce Webber dreht in New York ein Porträt von Robert Mitchum, das wohl im nächsten Jahr in die Kinos kommen wird.

Außerdem in der ZDF-Reihe: Mitchum in seiner ersten großen Rolle in „Späte Rache“ (Pursued, 1947) am 14.8.; „Der letzte Tycoon“ (1975) am 21.8.; „Saison der Sieger“ (1982) am 23.8.; „Ein Satansweib“ (1951) am 28.8.; „Ryans Tochter“ (1970) am 5.9. und „Mr. North — Liebling der Götter“ aus dem Jahr 1987 am 13.9.