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INTERVIEW„Keine Vorentscheidung“

■ Monika Frommel, Professorin für Strafrecht an der Universität Frankfurt/Main, zur Aussetzung des §218

Mit der einstweiligen Anordnung gegen die neue Fristenregelung gilt vorläufig in Ost und West weiterhin altes Recht. Der Vorsitzende Richter des Zweiten Senats, Gottfried Mahrenholz betonte am Dienstag bei der Urteilsbegründung in Karlsruhe, die Richter hätten keinerlei Entscheidung darüber getroffen, ob die Fristenregelung mit Beratungspflicht mit dem Grundgesetz in Einklang stehe. Über die Verfassungsmäßigkeit muß Karlsruhe in einer Hauptverhandlung, die vermutlich im Herbst beginnt, entscheiden.

taz: Wie beurteilen Sie die gestrige Karlsruher Entscheidung?

Monika Frommel: Dem Bundesverfassungsgericht blieb im Grunde genommen keine andere Wahl. Es hätte sonst sagen müssen, daß die neue Fristenregelung verfasssungskonform ist. Das wäre eine Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung gewesen.

Bei der einstweiligen Anordnung ging es nur um den strafrechtlichen Teil des Abtreibungsgesetzes. Das heißt, alle sozialen Flankierungsmaßnahmen des Gesetzes — auch das Recht auf einen Kindergartenplatz — haben Karlsruhe passiert. Das mutet erst einmal paradox an, denn die Befürworter des neuen Abtreibungsrechts argumentierten ja mit den sozialpolitischen Maßnahmen, die den geforderten Lebensschutz gewährleisten sollen.

Die sozialen Maßnahmen standen in Karlsruhe nicht zur Debatte, denn den Unionsabgeordneten und den Bayern ging es bei ihrem Eilantrag allein um die strafrechtliche Seite des Abtreibungsrechts. Das heißt, sie müssen jetzt per Gesetz umgesetzt werden.

Sozialpolitische Maßnahmen und Strafrecht haben nichts miteinander zu tun. Sie sind von SPD und FDP formal immer nur miteinander verknüpft worden. Und ich habe diese Verknüpfung immer kritisiert. Letztlich sind sozialpolitische Maßnahmen schon immer die Pflicht derer, die für den Lebensschutz eintreten. Man hätte gerade die Lebensschützer schon längst mit dem Argument unter Druck setzen sollen, das sie nichts tun.

Welche Chancen sehen Sie für die Fristenregelung mit Beratungspflicht in der noch folgenden Hauptverhandlung? Ist die Karlsruher Entscheidung eine Art Vorentscheidung, wie manche behaupten?

Nachdem der Vorsitzende Richter Mahrenholz selbst deutlich gemacht hat, daß es keine Vorentscheidung ist, können wir alle davon ausgehen, daß die Anordnung so nicht gemeint ist. Es wird sicher keine einstimmige Entscheidung für die Abtreibungsreform in Karlsruhe geben. Da wird noch um die eine oder andere Stimme gerungen werden müssen. Das ist auch der Grund dafür, daß dem Gericht nichts anderes übrig blieb, als der einstweiligen Anordnung zunächst einmal stattzugeben.

Strittige Fragen werden in Karlsruhe per se im Hauptverfahren geklärt. Nur unstrittige Fragen können schon auf dem Weg der einstweiligen Anordnung geklärt werden. Es gibt sicher einen, wenn nicht zwei Vertreter im zuständigen Karlsruher Senat, die der neuen Fristenregelung mit Beratungspflicht skeptisch gegenüberstehen.

Meine Prognose ändert sich nicht. Ich glaube, daß das neue Abtreibungsrecht gute Chancen hat. Und ich hätte überdies angenommen, daß es auch gute Chancen gehabt hätte, wenn man die Fristenregelung ohne Beratungspflicht mit sozialpolitisch flankierenden Maßnahmen vorgeschlagen hätte. Das war halt eine Frage des politischen Kräfteverhältnisses. Da sich die FDP strategisch auf eine bestimmte verfassungsrechtliche Position festgelegt hatte, konnte die SPD sich nicht mehr bewegen. Damit ist uns dieser unsägliche Gruppenantrag beschert worden. Erhard Denninger, als Vertreter der Bundestagsmehrheit, die das neue Abtreibungsrecht befürwortet, hat da sehr richtig argumentiert: Es ist ein Lebensschutzgesetz. So sehe ich es auch, das neue Gesetz ist ein Lebensschutzgesetz, und es wäre geradezu verrückt, wenn es als verfassungswidrig angesehen würde. Interview: Karin Flothmann

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