„Eine kaputte Tasse nimmt man nicht mehr“

■ Die ersten Flüchtlinge berichten von öffentlichen Vergewaltigungen. Bei ihren Aussagen über Vergewaltigung müssen Opfer eine doppelte Barriere überwinden: Sie beschreiben nicht nur körperliche Verletzungen, sondern auch die Vernichtung ihrer Würde und sexuellen Integrität — die ihnen nicht selten von der Gesellschaft als „Schuld“ angerechnet wird.

This is my weapon, this is my gun, this is for business, this is for fun“ (Das ist meine Waffe, das ist mein Kanone; die eine für den Job, die andere zum Spaß) heißt es in einem US- amerikanischen Kommißlied. Der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche drückte es ähnlich unmißverständlich aus: „Der Mann soll zum Krieger erzogen werden und das Weib zur Erholung des Kriegers: alles andere ist Torheit.“ Krieg und Vergewaltigung, Zerstörung und Demütigung der GegnerInnen hängen für viele Soldaten offensichtlich wie eine Art Naturgesetz zusammen — Männermacht total.

Vergewaltigungen gehörten im Ersten Weltkrieg zu den Terrormitteln der deutschen Truppen in Belgien. Mit Vergewaltigungen rächte sich die Rote Armee bei der Einnahme Berlins. Vergewaltigungen gehören auch in Ex-Jugoslawien längst zum Kriegsalltag. Frauen, Kinder und Großmütter der nichtserbischen Bevölkerung in Bosnien- Herzegowina werden von Tschetniks, den vorrückenden Siegern in Uniform, zu sexuellen Handlungen gezwungen. Viele der inzwischen in der Bundesrepublik eingetroffenen Flüchtlinge berichten über die unmenschlichen Grausamkeiten, die an Frauen begangen werden.

Dabei müssen die weiblichen Opfer eine zusätzliche Barriere überwinden: Sie beschreiben nicht nur körperliche Verletzungen, sondern auch die Vernichtung ihrer Würde und sexuellen Integrität — die ihnen von der Gesellschaft nicht selten als „Schuld“ angerechnet wird. Schon weil aus Scham eine Vergewaltigung vom Opfer oft verschwiegen wird, ist ein „statistischer“ Umgang mit dieser Art von Kriegsverbrechen schwierig, wenn nicht unmöglich. Die Tatsache allerdings, daß viele Flüchtlinge von öffentlichen Vergewaltigungen berichten (s.u.), mag zynischerweise dazu beigetragen haben, daß diese als Kriegsverbrechen in Bosnien-Herzegowina überhaupt ins Bewußtsein rücken. Dennoch hielt es bisher — wie auch in anderen Kriegen — kaum ein ausländischer Frontjournalist für nötig, entsprechenden Informationen nachzugehen.

Die Schilderung einer 35jährigen Moslemin aus Ilijas wurde kürzlich in der kroatischen Zeitung Novi Vjesnik veröffentlicht: „Die Serben brachten mir den Haß bei. Seit zwei Monaten gibt es nichts mehr in mir, weder Schmerz noch Bitterkeit, nur Haß. Du fragst, was sie mit mir angestellt haben? Sie haben vor meinen Augen meine Mutter vergewaltigt, meine gute wunderschöne Greisin. Wo immer ich gehe, spüre ich den Duft meiner Mutter, höre ihre leisen Schritte, die rascheln wegen der Pluderhosen. Oh, ich Arme! Als er sich auf sie warf, fiel ich in Ohnmacht. Durch Schläge kam ich wieder zu Bewußtsein. Ihre Hand war schon ohne Leben, aber noch warm. Hitze und Reue brennen noch immer in mir. Gerade an diesem Vormittag hatten wir uns gestritten.

Dann wurde ich von meiner toten Mutter weggerissen und an meinen Haaren hinausgeschleppt. Ich zeigte ihnen, daß ich im achten Monat schwanger war. Sie spuckten mich an, schlugen mich und zwangen mich, Striptease zu machen. Einer von ihnen schlug im Takt auf meinen Bauch. Nein, ich weiß nicht, ob mein Bauch damals platzte — der meinem Sohn das Leben schenkte. Ich gab ihm den Namen Dschihad (Heiliger Krieg der Mohammedaner d.Red.), damit er das nie vergißt.“

„Normalität in Ausnahmezeiten“

Ob in Bangladesch, Vietnam, Kuwait oder Bosnien-Herzegowina — Krieg entfesselt offenbar geballten Männerhaß, nicht nur gegen die bewaffneten Feinde, sondern, um diese in „ihrem Besitz“ empfindlich zu treffen, auch gegen deren Frauen. Mit Erfolg, wie sich immer wieder gezeigt hat. Männer eines besiegten Landes werten die Vergewaltigung „ihrer Frauen“ traditionsgemäß als „größte Erniedrigung, als sexuellen coup de grace (Todesstoß)“. Besonders kraß zeigte sich das im Krieg um Bangladesch. Nachdem westpakistanische Truppen 1971 in das Land, das soeben seine Unabhängigkeit von Pakistan erklärt hatte, einfielen, wurden zwischen 200.000 und 400.000 Frauen vergewaltigt. 80 Prozent von ihnen waren Mosleminnen und lebten bis zu diesem Zeitpunkt in strikter Abgeschlossenheit von der Männerwelt. Fast alle vergewaltigten Bengalifrauen wurden später von ihren Männern, die ihre Ehre beschmutzt sahen, verstoßen. Ähnlich ergeht es, zwei Jahre nach der irakischen Invasion, den kuwaitischen Frauen.

Doch dieser „Ehrenkodex“, der auf so brutale Weise die gedemütigten Frauen ein zweites Mal bestraft, gilt offensichtlich auch in unseren Breiten. Als ein ehemaliger deutscher Offizier mit ansehen mußte, wie Frauen 1945 in Berlin vergewaltigt wurden, sagte er: „Wenn das meiner Frau passiert wäre, würde ich sie erschießen“ (Dokumentarfilm von Helke Sander „BeFreier und Befreite“). Ein anderes Opfer mußte sich für die Vergewaltigung auch noch rechtfertigen. Ihr Ehemann war der Auffassung, sie habe gegen ihr Treuegelöbnis verstoßen. „Er meinte, ich hätte mich wehren müssen“ (Film s.o.). Dazu die Freudenstädter Ärztin Renate Lutz-Lebsanft, die ähnliche Reaktionen selbst miterlebt hat, im Spiegel: „Die Frau war ein Besitz, und dieser Besitz wurde beschädigt. Eine kaputte Tasse nimmt man nicht mehr.“

Andererseits sprechen Männer immer wieder von der Normalität „dieser Übergriffe gegen Frauen“ in Kriegs-, also „Ausnahmezeiten“ (doch nicht nur in diesen). Ein bengalischer Politiker erklärte dem New York Times-Journalisten Aubrey Menen 1972 auf die Frage, warum es immer wieder zu Massenvergewaltigungen im Krieg käme: „Worüber unterhalten sich denn die Soldaten in den Kasernen? Über Frauen und Sex. Gibt man ihnen ein Gewehr in die Hand und schickt sie los, die Bevölkerung einzuschüchtern, was fällt ihnen dann zuallererst ein?“ Und beschwichtigend fügte er hinzu. „Denken Sie daran, daß unsere Frauen zum Teil sehr schön sind.“ Daß Vergewaltigung nichts anderes sei als ein „natürlicher männlicher Reflex“, glauben auch russische Soldaten. Bei Interviews zum Zweiten Weltkrieg, die Helke Sander mit ihnen führte, erklärten sie, Vergewaltigungen seien schon allein aus „biologischen Gründen“ völlig normal. Männer seien einfach „viel sexueller“ als Frauen und würden eben nach langer Abstinenz „zum Tier“.

Eine andere Rechtfertigung der Täter ist die Vergeltung: Die anderen haben unsere Frauen mißbraucht, deshalb haben auch wir ein Recht dazu. Zahn um Zahn, Blut um Blut. „Wir waren Kriegsbeute, Trophäen für die Sieger“, sagt eine 65jährige Berlinerin in Helke Sanders Film. Kriegsbeute und sonst gar nichts sind nach Berichten der „Flying Tiger“, einer Wiener Hilfsorganisation für Eingeschlossene in aller Welt, auch die Frauen in Ex-Jugoslawien. Einer der Piloten erfuhr am 18. Juli von einem Überfall auf das Krankenhaus von Sarajevo. Etwa 12 Mädchen zwischen 13 und 18 Jahren seien vor den Augen ihrer Eltern von Tschetniks vergewaltigt wurden. Auch MitarbeiterInnen und ein englischer Journalist hatten die Gewalttätigkeiten mit angesehen. Die Nötigung geschah auf einem öffentlichen Platz, in der Nähe des Krankenhauses. Die Mädchen, hätte es später geheißen, sollten geschwängert werden, damit mehr Serben auf die Welt kommen.

Die Journalistin Susan Brownmiller hat für solche und ähnliche Brutalitäten nur eine Erklärung: Der Krieg liefere den Männern den perfekten psychologischen Freibrief, schreibt sie in ihrem Buch „Gegen unseren Willen“, um ihrer Verachtung für Frauen Luft zu machen. „Die Männlichkeit des Militärs — die brutale Waffengewalt, ausschließlich in ihren Händen liegend, das geistige Band zwischen Mann und Waffen, die männliche Disziplin des Befehlens und Durchführens von Befehlen, die simple Logik der hierarchisch geordneten Befehlsgewalt —, das alles bestätigt den Männern, was sie bereits lange ahnten, nämlich daß Frauen nur unerhebliche Nebensache sind in einer Welt, in der es auf andere Dinge ankommt, nur passive Zuschauer des Geschehens im inneren Kreis.“ Birgit Ziegenhagen