Der vogelfreie Asylbewerber

■ Episoden aus der norddeutschen Rechtswirklichkeit (Teil 4): Die Ausländerbehörde erteilte einem Asylbewerber Hausverbot, weil er sein Recht wollte

(Teil 4): Die Ausländerbehörde erteilte einem Asylbewerber Hausverbot, weil er sein Recht wollte

Recht geschieht nicht nur vor Gericht. Die Verwaltung hat ihre eigene Rechtsmacht, das steckt hinter dem Begriff der staatlichen Gewalt. Juristen nennen es heute „Ausübung hoheitlicher Aufgaben“, früher hieß es schlicht und amtlich „Obrigkeitsstaat“; gemeint ist dasselbe. Mehr als sonst gilt aber hier: Wo Recht hin soll, ist Unrecht schon da.

Ausländer A. hat in Hamburg Asylantrag gestellt, er floh aus Kurdistan. Seine Duldung, die ihn zum Aufenthalt hier berechtigt, muß monatlich bei der Ausländerbehörde erneuert werden. Als Asylbewerber hat er darauf einen Rechtsanspruch.

Die Duldung läuft am Donnerstag aus. Pflichtgemäß spricht er zwecks Verlängerung in der Amsinckstraße vor, dort wird er auf den nächsten Tag vertröstet. Am Freitag erhält er nun eine Nummer und wartet mit vielen anderen geduldig, daß seine Zahl aufgerufen wird. Nach einiger Zeit fällt ihm auf, daß adrett gekleidete Männer und herausgeputzte Frauen, ohne daß eine Nummer aufgerufen ist, durch die Tür zum Dienstzimmer

gehen, vor dem alle anderen warten. Ihre Angelegenheiten werden offenbar erledigt, denn nach einiger Zeit kommen sie wieder heraus und gehen.

A. fragt einen der überall herumstehenden uniformierten Ordnungsmänner der Fa. Power GmbH, wieso diese anderen vorgezogen würden, und ob er als Türke Ausländer zweiter Klasse sei. Der Mann gibt die Frage an den in seinem Dienstraum sitzenden Sachbearbeiter weiter, A. wird zu ihm vorgelassen. Der Sachbearbeiter fühlt sich offenbar kritisiert und verfügt, daß A. heute nicht mehr drankomme, das Gebäude zu verlassen habe und am Montag wiederkommen solle.

A. sagt, daß er dann aber einen amtlichen Zettel brauche, der ihm die heutige Vorsprache bescheinige, ansonsten würde er bei der nächsten Polizeikontrolle festgenommen. Das interessiert den Sachbearbeiter aber nicht.

Ausländer A. bleibt nur, sich zu fügen. Vor der Tür wird er von zwei „Power“-Leuten an beiden Oberarmen gepackt und in Richtung Ausgang geschoben. Einmal dreht er sich auf dem Gang um, die Klammer löst sich, und er wiederholt sein Verlangen nach der Besuchsbestätigung. Da packt ihn einer der Männer vorn an der Jacke und verpaßt ihm mit den Fäusten je einen Schlag an die linke und die rechte Wange.

Ausländer A. weiß jetzt, was Recht ist — soweit es ihn betrifft.

Das Grundrecht auf Asyl berechtigt ihn zum Hierbleiben bis zum Abschluß des Prüfungsverfahrens; doch für jede Polizeistreife, die seine Papiere kontrolliert, ist er — nach Ablauf der Duldung — illegal und wird entsprechend behandelt, bis hin zur Abschiebehaft. Der Rechtsstaat garantiert ihm ein faires Verwaltungsverfahren; doch er erhält Hausverbot in der für ihn zuständigen Behörde. Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit gilt für jeden; doch Bedienstete einer Privatfirma im staatlichen Auftrag geben ihm, der die ausländerrechtlichen Auflagen bei Strafe der Abschiebung einhalten muß, dabei „eine aufs Maul“.

Zu dumm, daß das Grundgesetz auch Ausländern Rechte gibt. Indessen findet auch der Staat, wenn er sich vor einer Rechtspflicht drücken will (Beispiel: Asylverfahren), eigene Wege. Und die davon Betroffenen trauen sich nach gesicherter Erfahrung kaum zu rechtlicher Gegenwehr. Selbst wenn: wer der in diesen Staat Geflohenen will denn Zeuge sein? Keiner hat's gesehen — in solchen Fällen war Justitia schon immer besonders blind.

Auf der Polizei will übrigens niemand die Strafanzeige des A. wegen Körperverletzung aufnehmen. Weil, er hätte nicht ausdrücklich gesagt, daß er eine Strafanzeige aufgeben wolle. A. wird auch hier des Hauses verwiesen.

Natürlich war alles ein bedauerlicher Irrtum ... Justus