Das Risiko Unterhaltung

■ Seit vier Jahren existiert das Schmidt-Variete an der Reeperbahn / Gespräch mit dem Gründungsvater und Impresario Corny Littmann

INTERVIEW

Das Risiko Unterhaltung Seit vier Jahren existiert das

Schmidt-Varieté an der Reeperbahn /

Gespräch mit dem Gründungsvater

und Impresario Corny Littmann

„Hans Albers Enkel wollen den Kiez reformieren“ lautete vor genau vier Jahren eine taz-Überschrift. Gemeint waren die Betreiber des Schmidt-Theaters an der Reeperbahn, das damals im ehemaligen Kaiserhof seine Pforten öffnete. Die der Alternativszene und der schwulen Subkultur entwachsenen mutmaßlichen Albers-Enkel hatten in den seither vergangenen Jahren tatsächlich großen Anteil daran, daß das kulturelle Image St. Paulis aufpoliert wurde, und damit den Erfolg, den ihnen zu Anfang fast niemand zugetraut hat.

Spiritus rector des zur Institution gewordenen Schmidt ist Cornelius „Corny“ Littmann, der sich gerne Impresario nennen läßt und sein „Neues Volkstheater“ sogar im Fernsehen etabliert hat. Die taz sprach mit ihm über die Probleme mit dem Publikum, der Kritik und der Programmgestaltung.

Das Schmidt-Varieté, Ihre erste Theatergründung, feiert morgen sein vierjähriges Bestehen, seit knapp einem Jahr gibt es Ihr zweites Haus, das Tivoli, gleich nebenan. Wo soll das alles enden?

Ich hoffe, daß es uns gelingt, die Häuser noch einige Jahre weiter gutgelaunt zu betreiben. Nicht mehr und nicht weniger.

Haben Sie keine Angst, daß der neuen Kabarettkultur so schnell das Ende naht, wie sie in Mode kam?

Ich denke ja ständig über mein Ende nach. Der Tod ist für mich Bestandteil des Lebens. Und was das Kabarett betrifft: Die Etikette „in“ kann ich nur humoristisch betrachten. Wir waren das erste Jahr in, wir waren das zweite Jahr in, jetzt sind wir das vierte Jahr in. Na und?

Das Publikum, welches das Schmidt füllt, hat sich nach unseren Beobachtungen gewandelt. Kamen vor vier Jahren noch die jüngeren Bewohner der westlichen Innenstadt, die sogenannte Szene, der auch die Schmidt-Leute entstammen, strömen jetzt die Vorstädte in die Vorstellungen. Woran liegt's?

Ich wundere mich immer wieder, wie präzise taz-Journalisten über unsere Publikumsstruktur bescheid wissen. Die Kabarett-Gruppe „Familie Schmidt“, aus der das Schmidt hervorgegangen ist, hatte schon früher ein für freie Gruppen erstaunlich breites Publikum. Wir waren nie eine reine Szene-Veranstaltung. Das hat sich in unseren Theatern fortgesetzt.

Was sich vielleicht gewandelt hat, ist die Einstellung verschiedener Szenen zu unserem Theater, und dazu leistet die taz ja den entsprechenden Beitrag.

Der Bezug der linken Szene — wenn sie überhaupt noch existiert — zu diesem Theater ist sicherlich zum Teil verlorengegangen. Unser Verhältnis zur Schwulenszene in Hamburg ist jedenfalls besser geworden, seit wir als Theater in der Aids-Prävention — Stichwort: „Leuchtfeuer“ — initiativ geworden sind.

Sind Sie also zufrieden mit Ihrem Publikum?

Wir sind zufrieden, daß viele Menschen in unser Haus kommen und in der Regel auch bis zum Ende der Vorstellungen bleiben.

Sie haben einmal für sich in Anspruch genommen, „politisches Volkstheater“ zu machen. Wo ist das geblieben?

Wir veranstalten bekannterweise viele Gastspiele bei uns. Wenn wir also, wie jüngst geschehen, die

Garde junger deutscher Zauberkünstler präsentieren, verdient das nicht das Etikett „politisches Volkstheater“. Das ist pure Unterhaltung. Wir werben ja mit dem Slogan „Gute Unterhaltung hat einen Namen“ - Schmidt nämlich.

Was ist also noch politisch am Schmidt?

Wenn man das Politische im Sinne des politischen Wortkabaretts — das ich für überholt halte — versteht, dann sind wir kaum politisch. Unsere letzte Eigenproduktion „Beiß mich! Ich will das Leben spüren“ verstehe ich allerdings als ein Stück politisches Volkstheater.

Wird die Botschaft vom Publikum verstanden, erwartet es nicht vor allem Klamauk?

Für wie doof haltet ihr eigentlich unser Publikum?! Die Menschen, die zu uns kommen, erwarten keinen Klamauk à la Mike Krüger, die erwarten Unterhaltung für Kopf und Bauch. Die erwarten Unterhaltungskünstlerinnen und -künstler, die ihr Handwerk beherrschen und was in der Birne haben. Und das bekommen sie in unseren Theatern in Hülle und Fülle.

Die Kritik, anfänglich noch wohlwollend bis amüsiert, verreißt inzwischen häufiger das Schmidt-Programm. Woran mag das liegen?

Das stimmt für die taz, und ich frage mich in der Tat, wie ein taz- Kritiker überhaupt noch zu amüsieren ist. Ich habe euch ja schon das Angebot gemacht, eure Kritiken im voraus zu schreiben, weil ich genau weiß, wie unsere Produktionen von euch besprochen werden. Und das bei einem sehr heterogenen Programm. Es haben ja nicht nur ein Herr Schmidt, eine Frau Wanders oder eine Frau Jaschke auf der Bühne gestanden, es ist auch ein Otfried Fischer bei uns aufgetreten, eine Annie Sprinkle war da — die kann man doch nicht alle über einen Kamm scheren. Aber die taz verreißt in der Tat alles.

Wo bleibt die Selbstkritik?

Unterhaltung ist immer ein Metier, in dem man sich auf Glatteis bewegt. Wir wissen sehr wohl, daß sie bei den Rezipienten sehr widersprüchlich ankommen kann. Daß wir Unterhaltung anbieten, lassen wir uns allerdings nicht zum Vorwurf machen.

Wachsen denn genug nachdenkende Kabarettisten und freie Gruppen nach, um beide Häuser lückenlos mit Programm zu bestücken?

Das Problem ist nicht, gute Gruppen zu finden, das Problem ist, sechsmal in der Woche beide Häuser mit immerhin 900 Plätzen vollzukriegen. Nehmen wir die „Geschwister Pfister“, die im Juli im Schmidt aufgetreten sind. Sie bieten meiner Meinung nach das beste Programm, das derzeit im deutschsprachigen Raum gespielt wird. In Berlin waren sie auf Monate ausverkauft, nach Hamburg kamen sie zum erstenmal. Wir hatten Urlaubszeit, warmes Wetter — und schon ist der Saal nur halb voll. Die Qualität entscheidet also nicht immer über den Erfolg. Wir verkneifen es uns ja seit vier Jahren, der Spitze des deutschen Kabarettmarktes die Sahne abzuschlecken. Wir haben in den vergangenen Jahren Künstlerinnen und Künstler präsentiert, die in dieser Stadt völlig unbekannt waren. Das birgt wirklich ein großes Risiko.

Die Fragen stellten Mechthild Bausch und Michael Berger