Ganz ersnthaft komisch

■ Die Firma »fnac« hat einen Wettbewerb für Berliner Fotos ausgerichtet

Heute kann man alles fotografieren.« Robert Frank, amerikanischer Fotograf mit Schweizer Geburtsort, formulierte lakonisch und hellsichtig das Spannungsfeld, in dem Fotografie am Ende des Jahrhunderts knietief steckt: zerschossene Leiber und schöne Covergirls, melancholische Ansichten verlorenen Lebens, die millionste Aufnahme vom Eiffelturm oder Brandenburger Tor. Genug Bilder für jeden, alles ist fotografiert. Neue Blicke auf Bekanntes lassen sich kaum noch fokussieren.

»Unterwegs. Berlin 1992.« Unter diesem Motto veranstaltete »fnac«, das Haus für »Kultur und Konsum mit Kopf«, einen Fotowettbewerb. »Urberliner oder Zugereiste«, Profis und engagierte Amateure sollten Ausschau halten nach »kurzen Momentaufnahmen«, den »Berliner Bildern« jenseits des »schon längst Bekannten«. Etwa 500 brachten ihre Aufnahmen auf den Weg. Eine Jury, zu der unter anderen Nelly Rau-Häring gehörte, wählte »41 Berliner Fotos von 23 Fotografen« aus.

Die »verschiedensten Momentaufnahmen der Stadt« zeigt fnac in einer Ausstellung. Wer nun immer noch nicht ahnt, wo sie oder er lebt, den wird es durch die »spannungsgeladene und kontrastreiche Dokumentation des Berliner Lebens 1992« offenbar: in den »Nischen, in die jeder Großstadtbewohner eintaucht«, nachzulesen im Hausmagazin »fnacmag«. Schöner hätte das Ulrike von Möllendorff in der »Berliner Abendschau« nicht annoncieren können.

Berlin — das ist die Capitale der Tristesse, als gäbe es nicht Liverpool oder Halle. So flüchten sich Liebespaare von der Rolltreppe ins grobe Korn (Gisland Masche), deutsche Schäferhunde bewachen Hanuta- Riegel auf der Ladentheke ihres Herrn (Anna Baldi), verenden Trabis im Ödland auf dem ehemaligen Todesstreifen (Roland Mund), und lustig ist der dicke Mann mit großem Gemächte im Strandbad, weil er süffiges Dosenbier zecht (Dieter Mattes). Das ist ganz ernst komisch.

Kaum wiederzuerkennen sind Reichstag, Brandenburger Tor plus dazugehöriger Souvenirverkäuferin: Die Postkartenmotive, coloriert in beängstigendem Rot, Grün und Kanariengelb, hat Jan Vogtschmidt »längst Bekanntes« für alle sichtbar verfremdet. Das Siegerfoto von Ulrich Klose bedarf keiner Dunkelkammertricks: denn »... die Ungereimtheiten, die die Stadt auch aufweist«, fand der 1966 geborene Lichtbildner »abends an der Straße des 17. Juni«. Den Einkaufswagen hat Klose »so vorgefunden mit dem Berliner Wahrzeichen im Hintergrund«. Die Jury erblickte darin den »Spielraum für unzählige Assoziationen«. Für das Bekannte gibt es keine neuen Bilder. Yvonne Rehhahn

»Unterwegs. Berlin 1992.« fnac, Meinekestraße 20/24, Mo. bis Fr. 10 bis 18.30, Do. bis 20.30, Sa. 10 bis 14 Uhr; bis zum 30. August.