Wo bleibt der Widerspruch in der Sache?-betr.: Zur Berichterstattung der taz üner meine Vorschläge zur AIDS-Bekämpfung

Zur Berichterstattung der taz über meine Vorschläge zur Aids-Bekämpfung

Für meinen Vorschlag, Aids mit den Mitteln des Bundesseuchengesetzes (BSeuchG) zu bekämpfen, habe ich Zustimmung erfahren, aber auch Kritik einstecken müssen. Die Reaktionen waren generell meistens ausgesprochen unsachlich. Niemand hat aber so hämisch reagiert wie die taz. Warum eigentlich? Ist man sich bei der taz wirklich so sicher, daß die heutige Politik der Broschüren und Plakate richtig ist?

Was ist so schockierend an dem Vorschlag, junge Alleinstehende per Anschreiben vom Gesundheitsamt (nach §10 BSeuchG) zum Aids-Test zu bitten? Was ist so ungeheuerlich daran, obligatorische Tests mit Bußgeldandrohung nach §69 BSeuchG durchzuführen, wenn die freiwilligen Tests nicht ausreichend genutzt werden?

Ich habe weder gefordert, Menschen in Handschellen zum Test vorführen zu lassen, noch plädiere ich dafür, Infizierten sexuelle Kontakte zu verbieten. Das Hauptproblem bei der Verbreitung von Aids ist nicht Böswilligkeit, sondern Leichtsinn. Die meisten holen sich ihre Infektion bei Menschen, die selber nicht wissen, daß sie infiziert sind. Das ist das zentrale Problem, und genau deswegen ist es so wichtig, daß möglichst alle Infizierten von ihrer Infektion wissen, dann werden sie in der Regel verantwortungsbewußt genug sein, die Infektion nicht weiterzutragen.

Das aber geht nur mit Massentests. Diese schärfen das Problembewußtsein der Gesamtbevölkerung und führen auch psychologisch über die Unverbindlichkeit der TV-Spots hinaus. Hätte man sich schon vor acht Jahren zu diesem Schritt entschlossen, dann könnten wir heute durchaus 50.000 Infizierte weniger haben. Deswegen bin ich auch ziemlich sicher, daß die Serientests früher oder später kommen werden. Der bayerische anonyme Massentest mit Restblut in Krankenhäusern ersetzt diese Tests übrigens nicht, denn er geht an den am meisten betroffenen Bevölkerungsgruppen vorbei.

Stichwort Meldepflicht: Bei der Aids-Hilfe hielt man als Hauptargument dagegen, »das wichtigste ist, daß die Menschen das Vertrauen nicht verlieren«. Entschiedener Einspruch! Das wichtigste ist, daß sie Gesundheit und Leben nicht verlieren. Und warum sollte überhaupt eine Meldepflicht zu Vertrauensverlust führen? Diese besteht auch beispielsweise für Hepatitis, und ich kann nicht erkennen, daß Hepatitispatienten deswegen kein Vertrauen zu ihren Ärzten mehr hätten oder gar in den Untergrund oder ins Ausland gingen. Meldepflicht heißt ja nicht »Outing«, ärztliche Schweigepflicht und Datenschutz gelten weiter. Es wäre doch die Aufgabe der Aids-Hilfe, auf solche Zusammenhänge hinzuweisen und nicht irrationale Ängste zu schüren.

Stichwort Verhältnismäßigkeit: Richtig, jede obligatorische Blutuntersuchung ist ein Eingriff in das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit. §10 Absatz4 BSeuchG erlaubt diesen Eingriff aber ausdrücklich, solange die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt. Hier beginnt das verantwortliche Ermessen der Gesundheitsbehörden und -politiker. Niemand weiß genau, wie hoch die Infektionsrate unter, sagen wir, 35jährigen Singles in Frankfurt oder Berlin ist. Schätzungen gehen bis über ein Prozent, seien wir optimistisch und sagen 0,3 Prozent. Testet man nun 100.000 und findet man 300 bislang ahnungslose Infizierte, dann kann man durchaus davon ausgehen, daß man rund tausend Menschenleben gerettet hat, nämlich diejenigen, die diese 300 in den nächsten Jahren noch infiziert hätten.

Die Frage, die zu beantworten ist, heißt also: Ist es verhältnismäßig, hundert Menschen zu untersuchen, um ein Menschenleben zu retten? Man wird diese Frage kaum ernsthaft verneinen wollen. Es kann freilich auch sein, daß man unter den ausgesuchten 100.000 Untersuchten nur 30 Infizierte findet. Um so besser, denn in diesem Falle könnte man es verantworten, zur heute praktizierten Politik zurückzukehren. Leider ist ein solches Ergebnis mehr als unwahrscheinlich.

Über die Biestigkeit, mit der meine Vorschläge teilweise zurückgewiesen wurden, muß ich mich schon wundern. Einige erklärten mich für ahnungslos, andere sprachen mir die Intelligenz ab, die taz sogar die Integrität (»... um sich mal wieder medienwirksam in Szene zu setzen«.). Wo bleibt der Widerspruch in der Sache?

Natürlich lebt die taz gut mit dem Bild vom bösen Heinrich Lummer (Schlagzeile vom 17. Juni: »Heckelmann ist schlimmer als Lummer«). Im vorliegenden Falle trifft die Häme der taz aber nicht mich, sondern die Zehntausende, die sich unnötigerweise noch infizieren werden, bis endlich konsequent gehandelt wird. Wer in Politik und Publizistik Sachargumente für eine andere Aids-Politik mit Häme statt mit Argumenten beantwortet, bewegt sich auch ethisch auf dünnem Eis. Heinrich Lummer