POSTAMT 44 Von Karl Wegmann

Als der britische Pilot uns allen das Leben schenkt und die betagte 737 hart aber sicher in Tegel auf die Betonpiste fallen läßt, bohren sich zwei Fragen in mein Urlauberhirn. Erstens: Hat Kollege Philippe auch regelmäßig die Pflanzen gegossen und zweitens: Hat Schwarz- Schillings gelbe Gurkentruppe es dieses Jahr geschafft, meine Post zu lagern? Nach knapp einer halben Stunde flackert die erste Entwarnungslampe auf: In meiner Wohnung riecht es wie in einem Suspensorium, aber das Grünzeug sieht gar nicht schlecht aus. Den Hibiscus hat zwar irgend jemand skelettiert, aber auch er lebt noch. Schnell ein Blick in den Briefkasten und... etwas in meinem Bauch sackt ein Stockwerk tiefer. Da liegen, neben dem üblichen Werbemüll, ein paar Briefe und, schlimmer noch, ein paar orangefarbene Benachrichtigungskarten die besagen, daß Päckchen für mich angekommen sind, die ich innerhalb einer Woche abzuholen habe.

Ich bleibe zunächst ganz ruhig, rufe beim Postamt 42 an, wo sie laut meinem Lagerungsantrag die Päckchen und Pakete für mich aufbewahren. Negativ. Nichts für mich da. „Ihr Flachköppe habt es schon wieder vermasselt“, denke ich, bedanke mich artig und lege auf. Ruhig bleiben! Auf dem Weg zum Postamt 44, wo meine Briefe lagern sollen, versuche ich mir eine Taktik zurechtzulegen und weiß gleichzeitig, daß ich ungefähr soviel Chancen hab' wie eine Mücke in einem Schneesturm. Doch dann überraschen sie mich. Sie haben tatsächlich etwas. Beim durchblättern meiner Post fällt mir auf, daß so einiges fehlt. Ist ganz leicht zu erkennen, an den Kontoauszügen des Postgiroamts: Nr. 46 ist da, 47 bis 49 fehlen, 50 ist wieder dabei usw. Ich nehme den Kampf an!

Im Büro des Leiters der Zustellung herrscht eine Atmosphäre so eisig wie ein Bankiersgrinsen. Die junge Beamtin starrt mich an wie ein Missionar seinen ersten Heiden. Schwarz-Schilling muß ein Trainingscamp haben, wo er seine Leute in Abwehrtechniken schult. Mit einer Stimme, süß genug um einen Diabetiker in Schwierigkeiten zu bringen, trage ich meine Beschwerde vor. Die Christel von der Post spult mit versteinerter Mine ihr Standardrepertoire ab: Kann schon mal passieren, Urlaubszeit, viele Aushilfen („Diese Studenten, ich kann ihnen sagen...“) blablabla. So fangen Kriege an! Ich bringe schwerstes Geschütz in Stellung: „Wissen Sie, ich bin (Betonung) Journalist (Pause), in den Paketen, die sie nicht für mich gelagert haben, waren Bücher, die ich rezensieren sollte. Sie (starke Betonung) behindern meine Arbeit!“ Frau Oberbriefträgerin knipst ihr Lächeln an, sieht schon ihren Namen in der Zeitung und ihre Pension den Bach runtergehen. Ein Teilsieg — jetzt hat sie den Logenplatz im Fadenkreuz. Doch sie führt sofort neue Truppen ins Gefecht, winkt einen Kollegen heran und läßt ihr Lächeln versickern. Ich fühl' mich wie die Katze, die gerade den Kanarienvogel gefressen hat und nun erfreut feststellt, daß das Viech noch einen Bruder hat. Der neue Postler hört mich an und versucht sich dabei wie eine intelligente Lebensform zu geben... Um es kurz zu machen: Ich habe den Kampf natürlich verloren.

Abends in der Kneipe will ich bei meiner Freundin den Frust loswerden, erzähle von verlorenen Büchern und Briefen. Sie meint, ich wäre so extrem pessimistisch, daß ich eigentlich ständig ein Leichenhemd tragen sollte. Ich nicke und nehme mir vor, beim nächsten Mal Postamt 44 in ein Schlachthaus zu verwandeln.