„Wir sind nur nützliche Idioten“

■ Der hochgeputschte Ost-West-Konflikt ist bei den deutschen Sportlern längst kein Thema mehr, ihr Unmut richtet sich gegen ihre neue Rolle bei Olympischen Spielen: Beim Fest der Sponsoren fühlen sie sich nur wie störendes Beiwerk

Aus Barcelona Michaela Schießl

Große Olympiasieger-Party im Deutschen Haus in Barcelona. Alle Sportler sind geladen, Funktionäre und natürlich die Sponsoren und VIPs. Auch Hochspringer Ralf Sonn ist zu Gast. Gutgelaunt unterhält sich der Weinheimer mit einem Kollegen, als eine aufgedonnerte Frau vor ihm aufsteht und ihn bittet, sich doch bitte schön ein wenig zurückzuziehen. „Ich fühle mich durch ihr Gespräch gestört.“

Ein Zwischenfall, wie er für Ralf Sonn nicht exemplarischer hätte ausfallen können. Für ihn sind die Olympischen Spiele in Barcelona ein riesiges Gelage für Funktionäre, VIPs und Sponsoren. Ein Fest, wo der Sportler kaum mehr ist, als die notwendige Dreingabe. „Ich bin der nützliche Idiot, den man springen läßt, daß andere den großen Reibach machen“, sagt Sonn. Der Sportler als lukratives Werbeumfeld? „Schauen Sie sich nur hier um. Anstatt daß sich hier die Athleten bei einem Faß Bier treffen, um zusammen richtig einen draufzumachen, ist alles voll von aufgedonnerten VIPs.“

„Affig“ findet er diese Veranstaltungen, die nur auf dem Papier den Athleten gewidmet sind. Tatsächlich stapeln sich in den Clubs mehr Geschäftsleute als Aktive. Die Sportler sind bestenfalls als Garnierung gedacht, als Lockvögel für die eigentlichen Besucher, als nette Häppchen zum kurzen Plausch. Und es ist ihnen nicht entgangen.

Ralf Sonn ist kein Einzelfall. Während die Teamführung und die Medien eifrig das in der Mannschaft kaum noch existente deutsch-deutsche Thema scheindiskutieren, erregt bei den Sportlern ein andersgeartetes Problem die Gemüter: ihre neue Rolle bei Olympia. Sie, die der Grund und die Hauptattraktion der profitträchtigen Veranstaltung sein sollten, für die das IOC Millionen kassiert, fühlen sich zunehmend überflüssig.

Ralf Jaros, Dreispringer und Industriekaufmann, erkennt den Trend des kommerzialisierten Olympia: „Inzwischen ist doch völlig egal, wer gewinnt oder verliert. Hauptsache, der Sieg ist zu vermarkten.“ Personen sind hierbei vollkommen austauschbar. Hauptsache, sie bringen Höchstleistungen, für deren weltweite Übertragung das Fernsehen Millionen hinblättert, weil sie ein Vielfaches an den Werbeeinblendungen verdienen können.

„Diesen Trend gibt es, seit Samaranch die IOC-Führung übernommen hat. Und er wird sich verstärken, wenn er sein Elitekonzept umsetzt“, urteilt Wolfgang Maennig, der noch in Seoul im Gold-Achter mitruderte. Der IOC-Chef steht unverblümt dafür ein, nur noch die absolute Spitze einschließlich aller Profis zu Olympia zuzulassen, aus Gründen der optimalen Vermarktung. Kein menschliches Füllmaterial ohne Medaillenchancen soll in Zukunft die Sponsoren und TV-Giganten am teuren Engagement hindern. „In Seoul war das noch nicht so zu spüren“, findet Maennig. „Doch wenn ich mir anschaue, was das IOC an den Spielen verdient, komme ich mir nachträglich doch etwas gelinkt vor.“ Sein Vorschlag: Alle Olympiateilnehmer sollten am Gewinn des IOC beteiligt werden.

Eine Idee, die Samaranch gar nicht schmecken wird. Den Sportlern Geld abgeben? In Barcelona reichte die Großzügigkeit noch nicht einmal soweit, den Athleten den Besuch anderer Sportarten zu ermöglichen. Oftmals sind die Aktiventribünen zu klein geraten, bei den meisten Veranstaltungen stehen die Sportler vor verschlossenen Türen. Die deutschen Basketballer, die ihre hockeyspielenden Wohnungsnachbarn zum Spiel gegen das Dream-Team einschleusen wollten, mußten ihre Kumpels am Eingang zurücklassen. Sorry, alles ausverkauft. Die Jugend der Welt soll sich bitte woanders treffen.

Die Ruderer, die weitab an der Regattastrecke in Banyoles untergebracht waren, beschlossen, nach ihren Wettkämpfen ins zentrale olympische Dorf umzuziehen, um ihre Kollegen und den olympischen Geist zu treffen. Ein Wunsch, der erst nach heftigen Streitereien mit dem Organisationskomitee erfüllt wurde. Der Widerstand erweckte den Eindruck, daß man es lieber gesehen hätte, wenn die Ruderer abgereist wären.

Die jedoch dachten nicht daran und versuchten statt dessen, den Gewichtheber Manfred Nerlinger bei seinem superschweren Wettkampf anzufeuern. Doch vor der Halle wurde ihnen der Zutritt verwehrt. „Das gibts doch gar nicht“, wüteten sie. „Überall der gleiche Scheiße: Wir kommen nirgendwo rein.“ Erst nach hartnäckigem Ausharren und massivem Protest zeigten sich die Veranstalter ausnahmsweise gnädig. Dabei finden viele Wettbewerbe vor halbleeren Rängen statt: Die 200.000 Plätze, die an die Sponsoren vergeben wurden, bleiben allzu oft leer.

„Das mit den Karten ist wirklich ein Problem“, räumt Kugelstoßer Ulf Timmermann ein, der sich jedoch nicht als Dreingabe verstehen will. „Die Olympischen Spiele gibts doch nur wegen uns.“ Doch als sein Blick über die Gästeschar im Daimler-Benz-Klub gleitet, muß selbst er zugeben: „Sicherlich, vereinnahmt wird man irgendwo schon von den Firmen, die hier ihr Image aufmöbeln wollen.“

Bei den deutschen Funktionären will man den Unmut der Schäfchen nicht gespürt haben. IOC-Mitglied Thomas Bach spricht von der „Unzufriedenheit der frühzeitig Ausgeschiedenen“. Auch NOK-Generalsekretär Walther Tröger schmettert die Vorwürfe ab: „Das ist der Frust der Verlierer.“

Daß der Frust berechtigt sein könnte, angesichts der neuesten Pläne der Olympiamacher, scheint den Funktionären unbegreiflich. Die skurrile Idee: Die olympische Abschlußfeier sollte unter Auschluß der Aktiven stattfinden.

Nur der entschiedene, kollektive Protest der Chefs de Mission ließ die Organisatoren schließlich umschwenken. Nun dürfen die Dreingaben doch ins Stadion. Als Zuschauer auf den Tribünen, die sich am Ende zwanglos im Innenraum versammeln können.