Vom Aussteiger zum Hausbesitzer

■ Nach 20 Jahren: Die Doku-Serie „Sympathy For The Devil“ ist wieder da

Eines Tages wollte Helmut aussteigen. Der 19jährige Auszubildende stand kurz vor der Abschlußprüfung und weigerte sich von einem Tag auf den anderen, dem „System der Belohnung“ zu dienen. Der angehende Reproduktionsfotograf, dessen Kollegen in der Klischeeanstalt hinter dieser Einstellung ein Drogenproblem vermuteten, blieb drei Tage lang dem Arbeitsplatz fern, ging dann aber auf Druck seiner Eltern wieder hin. Dieser einsame Versuch, sich der Zweiteilung von Arbeits- und Freizeitwelt zu verweigern, fand vor 21 Jahren statt. Dokumentiert wurde er von den Autoren der einzigartigen Sendereihe „Sympathy For The Devil“. Die zehn Originalfolgen, die um zwei aktuelle Sendungen ergänzt wurden, sind zur Zeit im Dritten Programm zu sehen.

Rainer Jogschies gehörte zu den Jugendlichen, die 1971 für „Sympathy For The Devil“ interviewt wurden. Heute arbeitet er als Journalist und hat gemeinsam mit dem Filmemacher Rainer Gottwald einige der damaligen Protagonisten besucht. Helmut, der damals aussteigen wollte, arbeitet zur Freude seiner Eltern im erlernten Beruf, spielt nach Feierabend in einer Band — und zeigt sich höchst zufrieden mit dieser Entwicklung. Die neue Sendung über ihn heißt: „Warum Helmut eines Tages ein Haus bauen wollte.“ Nicht alle Beteiligten sind ihren Weg so geradlinig gegangen. Sylvia hatte eine Lehre als Friseuse begonnen. Als sie mit den Fernsehleuten sprach, war sie von ihrer Arbeit in einem Nobelsalon frustriert. Zwanzig Jahre später entdeckten die Filmemacher Sylvia in Hollywood, wo sie als Spezialistin für die Herstellung von Horrormasken tätig ist. Die Jugendlichen von damals hatten über die Dreharbeiten hinaus zu den TV-Leuten Kontakt gehalten. Auf ihre Anregung hin, so Rainer Jogschies, entstand die Idee, den aktuellen Stand ihres Werdegangs zu dokumentieren — „weil man Geschichten erzählen kann, die nicht ganz eine Lebensspanne umfassen, aber doch eben eine Midlife-Spanne“.

Aber die Sendereihe „Sympathy For The Devil“ bestand nicht allein aus Porträts. Vielmehr nahmen die Autoren diese „Fallbeispiele“ zum Anlaß, ihren jungen ZuschauerInnen das Normen- und Wertesystem dieser Gesellschaft und dessen Auswirkungen auf das Leben des Einzelnen zu erläutern. Unterhaltsam, aber von kritischer Warte aus, spürten die Autoren den teils schon mythologisch verklärten Manifestationen jugendlicher Anti- und Subkulturen nach, demontierten die Woodstock- Legende und Hollywoods Kino-Rebellen. Alexis Korner sang den Blues auf deutsch, Rod Stewart intonierte sein „Gasoline Alley“ a capella dort, wo es herkam: im schmuddeligen Hinterhof eines Arbeiterbezirks. Maggie Bell und Joe Cocker traten auf, zudem Liedermacher und die Pioniere deutscher Rockmusik, darunter Kraftwerk, Checkpoint Charlie und Erna Schmidt.

Die Serie, die seinerzeit im Rahmen der Bildungssendungen der dritten Programme gezeigt wurde, stieß auf unerwartete Resonanz. Junge ZuschauerInnen trafen sich, um die einzelnen Folgen anzuschauen und zu diskutieren. Aufgrund der vielen Anfragen sah sich die Redaktion genötigt, eine Materialsammlung zusammenzustellen, in der die wesentlichen Aussagen und Thesen zusammengefaßt wurden. Die war dann zwar im damals üblichen Soziologenjargon formuliert, aber mit Unterstützung der Fernsehbilder auch für Nichtakademiker verständlich.

Zur Überraschung der beteiligten Autoren, die heute die 1971 entstandenen Aufnahmen selbst eher als Kuriosum betrachten, ist die Serie unter den heutigen Jugendlichen nicht minder populär. Im Hessischen Rundfunks erhielt die Redaktion bereits nach wenigen Wochen „Sympathy For The Devil“ in unerwartetem Ausmaß Zuschauerpost. Offenbar besteht im Gegensatz zur landläufigen Meinung ein Bedürfnis nach qualitativ hochrangiger TV-Unterhaltung, die sogar dem Bildungsauftrag der Sendeanstalten gerecht zu werden vermag. Vielleicht liefert der Erfolg ein paar passende Argumente in der Diskussion um Programmbeiträge, die vom üblichen Sport-, Spiel- und Serienelend abweichen. Harald Keller

Jeweils samstags, 14.15 Uhr, N3