»Prinzip Trabi« lebt weiter

■ Immer weniger »Plastebomber« rollen über deutschen Asphalt/ Obwohl der Trabi in Leichtbausteine verwandelt werden kann, landet er auf dem Müll/ Sein Geist aber lebt weiter

Seit dem Zusammenbruch des Sozialismus hat kein Auto die Phantasie der Wissenschaftler so anregt, wie der Trabi. Nach dem Fall der Mauer schienen dem Ideenreichtum keine Grenzen gesetzt zu sein. Chemiker züchteten für den »Plastebomber« ganze Bakterienkulturen, die die Kunststoffkarosserie auffressen und anschließend als Humus ausscheiden sollten. Der Humusversuch des Ostberliner Industrieforschungszentrums scheiterte jedoch daran, daß die Grundlagenforschung zu lange gedauert hätte.

Andere hatten mit ihren Ideen mehr Glück als das Forschungszentrum. Die Berlin-Consult entwickelte ein Verfahren, daß das Trabi- »Duroplast« zu Briketts verwandelt. Leider seien die Trabi-Briketts teurer als herkömmliche, sagt Erich Raber, Leiter der Abteilung Umwelttechnik bei der Berlin-Consult. Sie würden deshalb nicht hergestellt. Das Ostberliner Zentralinstitut für physikalische Chemie wollte aus der Autokarosserie Aktivkohle machen, die als Filter in den Schornsteinen von Müllverbrennungsanlagen oder in den Abflußrohren von Klärwerken hätte verwendet werden können. Die Sachsenringwerke in Zwickau produzierten insgesamt 3.096.099 Trabants. Die letzte Pappschachtel lief im April 1991 vom Band. Jetzt stellen die Werke aus den alten 32 Kilogramm schweren Kunststoffkarosserien schall- und schwingungsdämpfende Leichtbausteine her. Sie dienten zum einen als Unterlage von Straßenbahngleisen, berichtet Werner Reichelt vom IFA-PKW-Recycling in Zwickau. Zum anderen seien sie besonders beim Häuslebau in erdbebengefährdeten Gebieten geeignet. So verschwindet der Zweitakter des zusammengebrochenen Arbeiter-und-Bauern-Staates in wackelfesten Wänden mittelamerikanischer Wohnhaussiedlungen.

Den Trabi zu verwerten sei problemloser als bei jedem Mittelklassefahrzeug, weiß Reichelt. Neben den 32 Kilogramm »Duroplast« seien in dem Auto des »kleinen Mannes« nur 15 Kilogramm sonstige Kunststoffe vorhanden. Jeder andere Kraftwagen bestehe aus bis zu 100 Kilo verschiedenster Kunststoffe, die nicht ohne weiteres zu recyceln seien. Aber auch in Zwickau weiß man, daß der Trabi selten wird und schon bald als Grundstoff für die Bauindustrie ausscheiden könnte. Deshalb testet die IFA-Recycling-Abteilung auch das Verwandeln anderer Kunststoffe in Leichtbausteine. Probleme bereiten derzeit noch die Kosten.

Die meisten Trabis enden aber noch immer so wie jedes andere Auto auf der Müllhalde. Bei dem Berliner Schrotthandel »Koch und Lange« so heißt es, würden jeden Tag 30 bis 40 Zweitaktbesitzer ihr lange gehätscheltes Gefährt abgeben. 170 Mark kostet den Fahrzeuginhaber die Trennung von seinem Vehikel. Ist der Trabant nicht mehr komplett, wird es noch einmal 100 Mark teurer. Weil die Verschrottung in Brandenburg zu kostspielig sei, sagt ein Mitarbeiter von »Koch und Lange«, würden die Gefährte zu westdeutschen Deponien verschifft.

Der größte Sammler von Trabis ist inzwischen der Autohersteller Ford. Seit Mai nehmen die bundesweiten Filialen die »Leukoplastbomber« für bis zu 2.000 Mark in Zahlung, wenn der Besitzer sich dafür ein neues Ford-Modell zulegt. In Berlin und den neuen Bundesländern hat der Kölner Konzern in den letzten drei Monaten knapp 10.000 Trabis »einkassiert«, berichtet Bernd Meier, Sprecher in der Zentrale am Rhein. Seit Juni dürfen auch die DDR-Kleintransporter Barkas abgegeben werden.

Wenn die Ossis ihre Pappen weiter mit dieser immensen Geschwindigkeit beim Autohändler um die Ecke bringen, dürfte der Trabi in wenigen Monaten »ausgestorben« sein. Im Juli seien auf deutschen Straßen gerade noch einmal 16.532 (sic) dieser Stinker zugelassen gewesen, meldet das Kraftfahrtbundesamt.

Vielleicht bleiben uns dennoch einige Sachsenring-Vehikel auf vier Rädern erhalten. Allerdings kann man knapp drei Jahre nach Maueröffnung eines festhalten: Es ist offenbar leichter, einen bestimmten Wagentyp von den Straßen zu verbannen, als Stasi-Funktionäre und Inoffizielle Mitarbeiter aus öffentlichen Ämtern zu entfernen.

Doch die Idee vom Plastemobil lebt weiter. Der französische Autokonzern Renault baut seit Jahren zwei Fahrzeuge mit kompletter Kunststoffkarosserie. Den Sportwagen »Alpine« und eine Art kleiner, flinker VW-Bus, den »Espace«. Seit vergangenem Jahr werden die Plastikteile nur noch geklebt, so daß die Verkleidung komplett vom Metallrahmen abgelöst werden kann — dann wird das Plastik in Kaffeebohnengröße zerkleinert und dient als Rohstoff für neue Karosserien. Trotz großer Forschungserfolge könne allerdings auch heute noch nicht die gesamte Karosserie wiederverwertet werden. Mit den beiden Autos habe Renault die geringsten Recyclingprobleme, sagt Werner Röser, Sprecher des Unternehmens in Bühl. Aber selbst wenn die letzte aus dem Auspuff süßlich duftende DDR-Altlast auf dem Müll gelandet ist oder einfach an der Straßenecke abgestellt wird, eines steht immerhin fest: Der Sozialismus ist out — das Prinzip Trabi lebt weiter. Dirk Wildt