■ ARTUR, BERLINOID
: Volxmusik

Im Innern des Landes gibt es sie noch, die alten Jazzer, zwar immer geschafft, doch ganz schön wild geblieben. Zuletzt hat Artur einige ihrer Art im Biergarten des Charlottenhofs in Potsdam entdeckt, kultivierte Haus- und Hofmusikanten am Samstag en famille, Mozart, Bach, Wiewaldi und so, aber alle drei, vier Wochen sowas, da geht dann der Swing ab und manchmal auch der Rock 'n' Roll, Musik auf gegenseitiger Individualität.

Der mit dem gealterten Saxophon hat wieder sein vergilbtes Nyltesthemd angelegt. Der Banjoplayer, unrasiert, tut teilnahmslos, nur der Bassist läßt zärtlich sein eigenes Instrument sich um die eig'ne Achse dreh'n, schlägt mit der flachen Hand den Takt leicht an, und dann hotten sie los trotz schwellender Bierbäuche und fortschreitend schütterer Kopfbehaarung, heißa! mit diesen ganz alten Dingern, »Ice Cream« und »Where's The Tiger«.

Der Gitarrist liegt mit hochrotem Kopf plötzlich fast auf dem Rücken und fetzt ein Solo, das kein Auge trocken und keinen Fuß ruhig läßt, Posaune und Klarinette liefern schmelzende Zustimmigkeit, vor lauter Ergriffenheit über die eigene Rührung rutscht dann schon mal eine Brille auf die Nasenspitze. Und dann wieder dieser Baß, auch solo, allerhärteste Körperarbeit. Alle, alle

swingen mit, ganz high von so viel froher Message. Auf einmal der Drummer. Gott, was für ein begnadeter Beat, bearbeitet die Trommelfelle mit aufreizender Lässigkeit, legt einen Break ein, schaut sich triumphierend um und wechselt zu härterer Gangart. Unvermutet springt der apatische Mensch mit seinem Banjo hoch, schreit ein »Yeah!«, sie strahlen und dann knallt mit kiesigen Stimmen »Wake Up Little Susie« durch den Garten, daß selbst der plattfüßige alte Kellner nicht anders kann, als unter welkem Lächeln ein, zwei Ausfallschritte hinzulegen. Schweißgebadet haut der Mann am Klavier Läufe in sein Instrument, ist aus dem Häuschen, als spielte er in New Orleans, und er leitet über zum »Jailhouse Rock«. Der Gitarrist läßt sich nicht lumpen, stellt hüftausladend sich in Positur und gibt besser, viel besser als Johnny Cash die Anfangsakkorde von »St. Quentin«, Tote erweckend.

Mozarts »Kleine Nachtmusik« zum Ende des Abends gelingt der Gruppe ganz entschieden weniger konzertant. Mag am Bierkonsum liegen, meint Artur, oder auch daran, daß sie allesamt und unausweichlich morgen früh wieder los müssen und sich semi-originale Sounds bestenfalls per Walkman auf's Ohr gönnen können. Clemens Walter