„Die Drogen sind hier“

■ In Barcelona wird offensiv geoutet: Sprinterinnen Torrence, Ottey und Cuthbert klagen an

Barcelona (taz) — Als Gwen Torrence (USA) über 100 Meter nur Vierte wurde, fielen alle Barrieren: „Zwei der drei vor mir sind nicht sauber“, prangerte sie Gail Devers (USA), Juliet Cuthbert (Jamaika) und Irina Privalova (GUS) an. Oder vielmehr: zwei von ihnen. Wilde Spekulationen kursierten seither, wer die Sauberfrau des Trios sein soll. Nachdem Gwen Torrence vor Cuthbert und Merlene Ottey (Jamaika) die 200 Meter gewonnen hatte, wurde endlich geoutet. „Cuthbert und Merlene sind bestimmt sauber, sie habe ich nie gemeint“, klärte Torrence gleich zu Beginn der Pressekonferenz die Fronten.

Namen wollte sie keine nennen, also tat es Cuthbert: „Gwen sprach von Devers und Privalova. Wir wissen alle drei, daß wir betrogen werden.“ Just nach dieser Äußerung warf Bob Kersee, Devers' Coach, ein Stockwerk höher voller Wut eine Wasserflasche aus 20 Metern Entfernung an die Wand und wütete. Privalova nahm es gelassener: „Die Torrence ist verrückt.“

Doch die Argumente sprechen für sich. Cuthbert: „Da tauchen plötzlich Läuferinnen aus dem Nichts auf, keiner kennt sie, die höchstens einen Wettkampf bestritten haben, und gewinnen die Goldmedaille.“ So wie Gail Devers, die vor Olympia nur die US-Qualifikation gelaufen war. „Mir reicht es wirklich“, sagte Cuthbert. „Die machen uns alle unglaubwürdig. Vorhin habe ich überglücklich meine Mutter angerufen. Die zweite Frage von ihr war: Juliet, bist du gedopt? Da ist mit die Freude wirklich vergangen.“

„Die Drogen sind hier“, sagte Gwen Torrence eindringlich. „Man will es vertuschen, aber sie sind hier. Beim Schwimmen und in der Leichtathletik. Es ist so.“ Auch in den USA wird und wurde heftig gedopt, berichten sie. „1988 war es ganz schlimm. Was haben die den Carl Lewis fertiggemacht, weil er es ausgesprochen und Ben Johnson verdächtigt hat. Der kann nicht verlieren, wurde er verhöhnt. Aber in Seoul stellte sich raus: Carl hatte recht.“

Geschlossen fordern die drei Frauen den Bluttest: „Wenn es Bluttests geben würde, hätte ich schon längst meine Medaille“, sagt Merlene Ottey, die oft genug selber im Zwielicht stand. „Damit“, so Cuthbert, „sind Manipulationen bis zu drei Monaten zurück nachweisbar. Das ist die einzige Chance. Ich will Bluttests, obwohl ich panische Angst habe vor Spritzen. Aber das wäre es mir wert: Hier, vor den Augen von euch Journalisten würde ich mir Blut abzapfen lassen, damit keiner mehr zweifeln muß.“

Besonders erbost zeigten sich die Frauen über die Affäre Krabbe. „Ich habe es schon immer gewußt“, sagte Torrence, und Cuthbert wies auf eine delikatere Dimension des Problems hin: „Jede Wette, die lassen sie wieder laufen. Die haben nächstes Jahr die Weltmeisterschaft in Stuttgart, da brauchen sie die Krabbe.“ Auch Gwen Torrence spricht von Rassismus: „Krabbe ist die große weiße Hoffnung gegen uns Schwarze. Wenn eine von uns erwischt würde, würden die US-Zeitungen damit aufmachen und wir könnten sofort einpacken. Bei Krabbe gibt es nur eine kleine Meldung.“ Wenn Katrin Krabbe zurückkehren sollte, droht ihr ein Boykott: „Wir laufen nicht mehr gegen sie“, sagte das Trio.

Kaum war die Pressekonferenz zu Ende, fiel oben der Startschuß zu den 100 Meter Hürden der Frauen. Gail Devers lag überlegen vorn, stürzte jedoch bei der letzten Hürde. Es gewann eine Griechin namens Paraskevi Patoulidou. Selbst Fachjournalisten zuckten die Schulter, kein Mensch hatte die Läuferin vorher je registriert. Dafür fiel sie jetzt auf: stiernackig, muskelbepackt wie ein Möbelpacker und mit herben Gesichtszügen à la Schwarzenegger.

„Beweisen kann ich nichts“, sagt Gwen Torrence erbost. „Aber ich habe eine Meinung. Und mit Meinungen ist es wie mit Arschlöchern: Jeder hat eins.“ Michaela Schießl