ZU FUSS DURCH DIE ALPEN

■ Die Initiativgruppe TransALPedes wendet sich gegen die drohende Zerstörung der Alpen: per pedes demonstriert sie von Wien bis Nizza Langsamkeit gegen den europaweiten Mobilitätswahn

Die Initiativgruppe TransALPedes wendet sich gegen die drohende Zerstörung der Alpen: per pedes demonstiert sie von Wien bis Nizza Langsamkeit gegen den europaweiten Mobilitätswahn.

VONREINHARDKUNTZKE

Still ruht der See. Der Stausee, um genau zu sein. Still sind auch die zwanzig WanderInnen der Initiative TransALPedes (Mitorganisatoren aus der Schweiz, Österreich, Italien und Frankreich), die auf der kleinen Wiese vor der Staumauer des Zufrittsees im Südtiroler Martelltal müde die Beine von sich strecken. Der einzige, der spricht, ist Erwin Altstätter, Bürgermeister der Talgemeinde Martell.

Erwin Altstätter erzählt von der Flutwelle, die am 26. August 1987 das Tal verwüstete. 18 Stunden lang hatte es ununterbrochen geregnet, und es war ungewöhnlich warm. An jenem Tag lag die Null-Grad-Grenze bei über 4.000 Metern Höhe. So kam zum Regen das Schmelzwasser der Gletscher hinzu. Der Kraftwerksbetreiber hatte in den Wochen zuvor den Wasserspiegel des Zufrittsees bis fast an die oberste Grenze steigen lassen, um Reserven für die Stromgewinnung zu sichern. Der See war voll.

Der Wärter am Stausee war allein und konnte mit niemandem sprechen. Alle Verbindungen zum Tal hatte das Unwetter unterbrochen. Anstatt nun die Wassermassen über die Talsperrenkante schwappen zu lassen, öffnete er die Bodenschleusen, um den Druck auf die Staumauer abzuschwächen. 160 Kubikmeter Wasser pro Sekunde schossen zu Tal und zerstörten die Marteller Ortschaft Gand fast völlig. Menschen kamen durch glückhafte Umstände nicht zu Tode, aber der Gesamtschaden betrug 35 Milliarden Lire (48 Millionen DM).

Auch fünf Jahre danach ist das Unglück im Tal nicht vergessen. Zwar sind die Häuser wieder aufgebaut und auch die anderen Verwüstungen längst beseitigt, aber die Menschen im Martelltal haben weiter Angst. „Sobald es regnet, blicken alle furchtsam hinauf zur Staumauer“, berichtet der Bürgermeister. Viel zum Schutz des Tales sei in diesen fünf Jahren nicht geschehen. Die Kraftwerksgesellschaft habe sich nur auf minimale Sicherungsmaßnahmen eingelassen.

Die TeilnehmerInnen von TransALPedes sitzen nicht zufällig an der Staumauer des Zufrittstausees und reden mit den Martellern. Seit dem 3.Juni ist die Gruppe zu Fuß in den Alpen unterwegs. Startpunkt war Wien. Nach rund 2.000 Kilometern per pedes soll am 3. Oktober Nizza in den südfranzösischen Seealpen erreicht sein. „In der Vorbereitungsphase haben wir Kontakte zu politischen, kulturellen und umweltpolitischen Initiativen und Institutionen aufgenommen und uns über alle Problemgebiete informiert. Erst anschließend haben wir dann unsere Route zusammengestellt“, erläutert Dominik Siegrist aus Zürich den Grundgedanken dieser Fernwanderung. Die TransALPedes-WanderInnen wollen auf ihrer Tour möglichst viele Gruppen und Organisationen besuchen, die sich für eine andere Entwicklung im Alpenraum einsetzen. TransALPedes will sichtbar machen, daß ein Umdenken im Gang ist und daß an vielen Orten zukunftsweisende Projekte entstanden sind.

Am Ende fast jeder Wanderetappe findet eine Informations- und Diskussionsveranstaltung mit Talbewohnern und örtlichen Initiativen statt. So steht beispielsweise am 8.August in Wassen im Schweizer Kanton Uri das Thema „Gotthard- Transit-Verkehr“ auf dem Programm. Am 3. September wird man sich im französischen Bourg-Saint- Maurice mit der Gruppe „Vivre en Tarantaise“ treffen, um über die Folgen der letzten Winterolympiade zu diskutieren. Übernachtungsort des 20. Septembers ist das italienische Stroppo, ein ehemals verlassener Weiler, der durch ein Projekt des integrierten Tourismus wiederbelebt wurde. Auf Transportmittel, sei es ein Begleitfahrzeug oder ein öffentlicher Bus, wird bewußt verzichtet. Dem europaweiten Mobilitätswahn wollen die WanderInnen die eigene Langsamkeit entgegensetzen. Sie gehen die gesamte Route ausschließlich zu Fuß und schleppen ihr Gepäck selbst.

TransALPedes ist für interessierte MitwanderInnen offen. Für einen Unkostenbeitrag von 20 Franken pro Tag können Teilstrecken, die 7 bis 12 Wandertage umfassen, gebucht werden. Alle Kosten unterwegs, wie Übernachtung, Verpflegung etc. müssen die WanderInnen vor Ort bezahlen. Anmeldung und weitere Informationen: TransALPedes, Postfach 29, CH-3900 Brig, Telefon CH-028-242226