Marc Ribot: Blues aus der Unfallstatistik

■ ZWISCHEN DEN RILLEN

Er schreibt und spielt freie, vielfältige Musik. Weder wird eine Intuition bei ihm unterdrückt, noch wird einem einzelnen Impuls erlaubt, das Steuer an sich zu reißen. Man könnte sagen, daß sein Humor sehr hohe moralische Standards hat“, sagt Arto Lindsay über seinen Nachfolger bei den Lounge Lizards, den Gitarristen Marc Ribot, der vor zwei Jahren sein Schallplattendebüt vorlegte. „Marc Ribot and the Rootless Cosmopolitans“, so der Titel, enthielt neben eigenwilligen Interpretationen von Titeln der Beatles, Jimi Hendrix' und Duke Ellingtons eigene Kompositionen, die durch ihre stilistische Varianz auffielen.

Auch bei seinem neuen Werk „Reqiuem for What's-His-Name“ bewegt Ribot sich zwischen den Grenzen des Musikbetriebs. Sein Humor ist noch eine Spur grimmiger geworden, bis hin zur Parodie. Und er kommt der Songform näher als bisher, singt durch einen Limiter gepreßt gegen Idole, Images, Religion und Rassenhaß an, bis er sich mit Howlin' Wolfs Klassiker „Commit A Crime“ Luft verschafft.

Für das Cover-Foto hat sich Ribot zwei Finger verbunden und im Text zu „Clever White Youths“, einem Rockabilly-Monster, rät er der gestilten Jugend ab vom kranken Gefasel über die entfremdete Nation und fordert sie auf, statt dessen solange Gitarre zu spielen, bis ihnen die Finger bluten. Diese feine Selbstironie und die Ernsthaftigkeit im Bemühen, sich nicht als Idol zu installieren, führt bisweilen zur zweifelnden Selbstdemontage wie in der lakonischen Aufforderung an den Hörer zum Schluß von „Clever White Youths“: „Don't know! Think about it!“

Jahrelang war Ribot Mitglied der Real Tones, die Wilson Pickett, Solomon Burke und Chuck Berry begleiteten, wenn immer sie in New York gastierten. Er tourte mit Tom Waits, Elvis Costello und den Lounge Lizards, experimentierte mit den Jazz Passengers, lernte früh klassische Gitarre und interessierte sich ähnlich wie John Lurie für Minimal-Music. Kosmopolitisch bezieht er sich auf den Blues, den Jazz, seine Musik lebt vom Rhythmus und der respektlosen Demontage amerikanischer Stile, die er kurz vor dem Umkippen in die Trivialität überzeichnet und oft in einen gänzlich anderen Stil überborden läßt. Beim Titel „New“ etwa intoniert eine Pumporgel mit zwei Saxophonen ein dudelsackähnliches Intro, im nächsten Moment ist man mitten in einem Carl Stalling-Bugs Bunny Sound-Track... Das Ende vom Lied ist ein Jazz-Keller, in dem ein schneller Baß swingt, far-out ein free-form Saxophon hereinspielt und Marc Ribot als Young Jim im flirrenden Kosmos der E-Gitarre sitzt. Fetzen populärer Folklore, dissonante Harmonien bis hin zum Geräusch vom Sampler und das rauhe Schlagzeugspiel geben dieser Musik etwas Profanes. Sie klingt nach Aufmärschen, nach Zirkus vielleicht, nach Einzug der Gladiatoren oder nach einem Auftritt der Spaßmacher.

Die Eigenkompositionen sind für jede Überraschung in Rhythmus und Melodie gut, das hat Ribot von den Lounge Lizards und deren Monkschen Traditionen gelernt. Ellington zitiert er auf beiden Platten, hier mit dem Gassenhauer „Caravan“, der bei ihm selbstverständlich nicht in den Ballsaal zurückkehrt. Auch an anderer Stelle scheut Ribot sich nicht, Stile pur zu zelebrieren. „Yo, I killed Your God“ ist ein Punk-Stück in Stil und Diktion, das in der bilderstürmerischen Maxime gipfelt: „Schmeiß deine Bücher weg, bleib weg von den Images, und bleib mir vom Leib mit deinen Metaphern!“ Doch so kämpferisch klingt nicht alles. Das Titelstück „Requiem For Waht's-His- Name“ ist eine verhaltene Klage um die schräge Tonfolge einer herabgestimmten Gitarre herumgruppiert, ganz unpathetisch, wie für einen der täglichen Toten aus der Unfallstatistik.

Den Namen Rootless Cosmopolitans gab Ribot der Band nach einem Gedicht von Allen Ginsberg. Auf Stalin-russisch und Hitler- deutsch heißt das „Vaterlandslose Gesellen“, ich übersetze es mit „Wurzellose Weltbürger“, als da sind der begeisternde Roy Nathanson am Sax, ebenso wie der Bassist Brad Jones aus der Jazz Passengers-Crew sowie Ralph Carney (sax), Anthony Coleman (syn., p., org.) und Simeon Cain (dr.). Und noch einmal Arto Lindsay: „Wir könnten Schlechteres tun als ,Rootless Cosmopolitans‘ zu sein, wir könnten nach der Pfeife unseres Führers tanzen!“

Marc Ribot and the Rootless Cosmopolitans: „Requiem For What's-His-Name“. CD Les Disques Du Crépuscule, TWI 969-2.

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