Rußland will baltische Stützpunkte

Zeitplan für den Rückzug der Roten Armee aus dem Baltikum weiterhin unklar/ Streit über Finanzierung  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Rußland fällt der Verzicht schwer. Obwohl die baltischen Staaten sich bereits vor einem Jahr von der Sowjetunion gelöst haben, macht Moskau weiterhin strategische Interessen geltend: die Stützpunkte der ehemaligen Roten Armee in dieser Region sollen erhalten bleiben. Sie, so Außenminister Kosyrew bei einem Treffen mit den baltischen Außenministern am Donnerstag in Moskau, seien für die „internationale Sicherheit von vitaler Bedeutung“.

Grundsätzlich war Kosyrew jedoch zu einem Rückzug der Roten Armee — wenngleich unter harten Bedingungen — bereit. Während Litauen beispielsweise fordert, der Rückzug müsse bis Ende des laufenden Jahres abgeschlossen sein, will Kosyrew ihn erst bis 1994 beenden. Außerdem setzt er voraus, daß die baltischen Länder auf territoriale und finanzielle Forderungen verzichten. Die Balten machen indessen Forderungen nach Entschädigung für ökologische Schäden, Litauen sogar für die Entwaffnung seiner Armee im Jahre 1940 geltend. Während die Balten allenfalls ihr Know-how beim Umzug der auf 200.000 Soldaten geschätzten Einheiten zur Verfügung stellen wollen, fordert Moskau finanzielle Umzugshilfen und Ersatz für zurückgelassenes Gerät. Die baltischen Länder dagegen sehen dieses allenfalls als Anzahlung auf ihre Entschädigungsforderungen an.

Die baltischen Außenminister, die zuvor ihre Verhandlungsführung abgesprochen hatten, äußerten sich zu den Moskauer Gesprächen ausgesprochen kritisch. Schon aus innenpolitischen Gründen sind die Moskauer Forderungen für sie kaum zu akzeptieren. Doch außer Apellen an die Weltöffentlichkeit stehen den Balten kaum Druckmittel zur Verfügung. So hatten bereits bei der letzten KSZE-Konferenz im Juli dieses Jahres die 52 KSZE-Mitglieder Rußland zu einem „völligen und möglichst schnellen Abzug“ aufgerufen.

Litauens Regierung äußerte jedoch wiederholt die Befürchtung, daß die Truppen nicht nur nicht abgezogen, sondern zum Teil gegen frische ausgetauscht würden. Schon im Mai hatten sowjetische Unterhändler in Wilna erstmals „strategische Interessen“ geltend gemacht, ihrer Ansicht nach sei ein weiterer Verbleib von Truppen in Litauen notwendig. Teil dieser Interessen ist der Zugang zur Kaliningrader Region, wo Rußland nach polnischen und litauischen Angaben den Großteil der aus der ehemaligen DDR und Polen abgezogenen Einheiten in Zeltstädten konzentriert, was sowohl Polen als auch Litauen als Bedrohung empfinden und daher eine Entmilitarisierung dieser Region fordern. Hintergrund der Konzentration und der Weigerung, den Abzug zu beschleunigen, ist der Wohnungsmangel in Rußland.

Angeblich fehlen zur Zeit genausoviele Wohnungen, wie Soldaten im Baltikum stationiert sind. Verbunden hat Moskau sein „Rückzugsangebot“ außerdem mit einem „Verzicht auf territoriale Forderungen“. Dies betrifft in erster Linie Estland, daß von dem Nachbarstaat die Rückgabe von Iwangorod und Petschory fordert. Diese im St.Petersburger bzw. Pskower Gebiet liegenden Städte hatten zwischen 1920 und 1945 zu Estland gehört.

Als Erfolg werteten die drei baltischen Minister ebenso wie Kosyrew dagegen die Übereinkunft, Möglichkeiten eines Gipfeltreffens zwischen dem russischen Präsidenten Jelzin und seiner drei Kollegen auszuloten.