: Das rheinische Komitee für Gerechtigkeit
■ Wenn Deutschland nicht regiert wird, Folge 2: Der wöchentliche Aufschrei vom Bonner Rathausmarkt
Bonn (taz) — Seit 56 Wochen demonstrieren die Bonner schon für Gerechtigkeit — doch Kanzler Kohl will noch immer nach Berlin. An jedem Donnerstag, punkt acht Uhr abends, versammeln sich ein paar Hundert Rheinländer auf dem Bonner Rathausmarkt. Dann verwandelt sich der Platz in den Bundestag des kleinen Mannes: Zu den Massen darf sprechen, wer sich vorher angemeldet hat. Eine Zensur findet nicht statt, — obwohl das manchmal besser wäre.
Der Bonner ist eigentlich ein fröhlicher Katholik, den so schnell nichts aus der Ruhe bringt. Zwei Dinge aber fürchtet er: Die Bahnschranke und Berlin. Daß die Schranken, die Nord- und Südstadt voneinander trennen, täglich acht Stunden unten sind und den Weg versperren, hat der Bonner zähneknirschend akzeptiert. Berlin aber ist die Bahnschranke, die nie mehr hochgeht. „Prachtbauten sollen mit unseren Steuergeldern in Berlin gebaut werden!“ tönt eine mahnende Stimme über den Marktplatz; die Demonstranten — meist sitzen sie in einem der vielen Straßencafés — blicken traurig in ihr Kölsch. „Sehen sie sich die vielen schönen Geschäfte hier an: Ein Drittel von ihnen wird schließen müssen!“ warnt ein Bonner Stadtplaner. Ein Arzt ahnt noch viel Schrecklicheres: Wird Berlin Regierungssitz, dann greift der nationale Größenwahn wieder um sich, dann werden sich braune und rote Horden auf dem Ku'damm die Köpfe einschlagen. „Wir im Rheinland waren noch nie deutsche Nationalisten!“ beteuert er — und ein dritter beginnt seine Rede so: „Liebe Marktschwestern und Marktbrüder! Wir brauchen eine politische Alternative!“
Organisiert wird der Trubel vom „Bürger Bund Bonn“. Vor kurzem hat sich diese Initiative gespalten. Etwa 30 Mitglieder waren der Auffassung, daß außerparlamentarischer Protest allein nicht ausreicht. Diese Leute gründeten jetzt die „Rheinlandpartei“. Der Journalist Helmut Heiser, der sie mitgegründet hat, bekennt: „Einen Anstoß zur Gründung haben uns die Kommitees für Gerechtigkeit gegeben. Da wird ja auch überlegt, ob die zur Ostpartei werden sollen.“ Heiser wünscht sich, daß seine Partei zu den Kommunalwahlen 1994 antritt.
Das Programm müsse man noch entwickeln. „Kritik am Umzug reicht da sicher nicht aus.“ Der 40jährige Heiser, bis 1974 SPD- und seitdem CDU-Mitglied, ist wie viele seiner Mitstreiter von den etablierten Parteien enttäuscht. Die meisten Pro-Bonn Politiker hätten sich inzwischen von den Donnerstagsdemos distanziert, weil sie glauben, hinter den Kulissen mehr für Bonn erreichen zu können. Die Rheinlandpartei aber will weiter Druck machen und den Donnerstagsdemos zu einer politischen Schlagkraft verhelfen, wie sie einst die Montagsdemos in Leipzig hatten.
Hätten die Rheinländer einen Wunsch frei, so wünschten sie sich Konrad Adenauer zurück. Mit dem, da sind sich alle Demonstranten einig, wäre das alles nicht passiert. Da es aber keine guten Feen mehr gibt, müssen sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Schon jetzt halten sich überall in Deutschland Rheinland-Kommitees bereit: Wird der Umzugsbeschluß nicht gekippt, wollen karnevalistische Basisgruppen die Republik das ganze Jahr lang mit lauen Witzen terrorisieren, wollen Funkenmariechen solange ihre Beinchen in die Höhe werfen, bis daß der letzte Preuße „Gnade, Gnade!“ winselt. Die Rache der Rheinländer wird furchtbar sein. Lassen wir Ihnen den Kanzler und uns unsere Ruhe. Claus Christian Malzahn
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