Schlechte Zahlungsmoral stürzt die UNO in die Finanzkrise

■ 164 Staaten, darunter die Bundesrepublik, haben ihren Beitrag für die UNO-Friedensmissionen 1992 und zum Teil sogar für 1991 noch nicht bezahlt

„Wenn nicht sofort Beitragszahlungen erfolgen, wird die UNO Ende des Jahres einige ihrer Operationen einstellen müssen.“

Die Warnung, die Generalsekretär Butros Ghali letzte Woche allen 179 Mitgliedstaaten schriftlich zustellte, läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. 164 Staaten — darunter die Bundesrepublik Deutschland — hatten bis zum 30.Juli ihre Pflichtanteile an den Budgets für die laufende Arbeit der UNO sowie für die Friedensmissionen für 1992 und zum Teil sogar für 1991 immer noch nicht überwiesen. Zahlreiche Aufforderungen des New Yorker UN- Sekretariats in den letzten Monaten stießen auf taube Ohren. Insgesamt fehlen derzeit 1,75 Milliarden US- Dollar in der UNO-Kasse — davon 844 Millionen für Friedensmissionen wie z.B. die Stationierung von Blauhelmen in Ex-Jugoslawien. Ohne Schulden sind nur Österreich, Bhutan, Botswana, Kanada, Dänemark, Finnland, Frankreich, Ghana, Lichtenstein, Malaysia, Namibia, die Niederlande, Neuseeland und Schweden.

Eine Finanzkrise der UNO, verursacht durch die schlechte Zahlungsmoral ihrer Mitglieder, gab es zwar auch schon in den letzten Jahren. Doch niemals zuvor war das Defizit nach sieben Haushaltsmonaten so groß wie 1992. Es herrscht eine tiefe Kluft zwischen den erheblich gestiegenen Aufgaben und Herausforderungen, vor der die UNO steht, und ihrer — zu einem wesentlichen Teil finanziell bedingten — Handlungsfähigkeit.

Bei ihrem New Yorker Gipfeltreffen im Januar dieses Jahres forderten die Staats-und Regierungschefs der 15 Mitgliedsstaaten die UNO auf, nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation eine „größere und aktivere Rolle zur Bewahrung des Friedens in den Konfliktregionen dieser Welt“ zu spielen. Besonders US- Präsident George Bush tat sich mit hehren Worten hervor und sicherte der UNO zur Bewältigung dieser Aufgaben eine verstärkte Unterstützung der USA zu. Tatsächlich hat sich am Finanzverhalten Washingtons jedoch wenig geändert seit den 70er Jahren, als Bush UNO-Botschafter in New York war. Damals hielt das reichste Land der Erde — das laut Finanzierungsschlüssel für 25 Prozent und damit für den größten Anteil am Budget für die laufende UNO-Arbeit aufkommen muß — einen Teil seiner Beiträge aus politischen Gründen zurück. Washington mißfielen Abstimmungsergebnisse in der UNO-Generalversammlung. Von 1985-1988 zahlte Washington überhaupt kein Geld in die UNO- Kasse. Ende der 80er Jahre wurde der Kurs der von Washington kritisierten UNO-Organisationen vor allem auch unter dem ausgeübten Finanzdruck wieder nach dem Geschmack Washingtons korrigiert. Zugleich verbuchte die UNO 1988 mit dem Afghanistan-Abkommen, der Aushandlung des Waffenstillstandes zwischen dem Irak und dem Iran sowie der Anbahnung der Namibia- und der Kambodscha-Gespräche einige wesentliche Erfolge. „Die Beilegung dieser Konflikte ist wichtig für die Interessen der USA.“ Mit dieser Begründung kündigte Washingtons damaliger UNO-Botschafter Vernon Walters im Juli 1988 die Überweisung von 188 Millionen US-Dollar an die UNO-Kasse an. Ende 1988 versprach Präsident Reagan vor der UNO-Generalversammlung dann ein Ende des Finanzboykotts. Künftig werde pünktlich bezahlt. Die seinerzeit aufgelaufenen Altschulden von über 530 Millionen Dollar wolle Washington voll nachzahlen.

Das blieben leere Versprechungen. Vier Jahre später stehen die USA als mit Abstand größter Schuldner weiterhin mit 555 Millionen Dollar allein beim Haushalt für die laufende Arbeit der UNO in der Kreide. Dazu kommen noch Außenstände beim Budget für die Friedensmissionen.

Butros Ghalis Kalkül ging nicht auf. Gleich nach seinem Amtsantritt im Januar dieses Jahres hatte der UNO-Generalsekretär einen US- Amerikaner zu seinem neuen Finanzdirektor ernannt, in der Hoffnung, dies könne Washingtons Zahlungsmoral anheben. Rußland, das der UNO allein 277 Millionen Dollar für Friedensmissionen schuldet, steht an zweiter Stelle der Schuldnerliste.

Das Loch von 844 Millionen in der Kasse für die Friedensmissionen, hat bereits handfeste Auswirkungen. So war z.B. Geldmangel wesentlich dafür verantwortlich, daß zwischen dem Beschluß des Sicherheitsrates zur Stationierung von Blauhelmen in Ex-Jugoslawien und der tatsächlichen Entsendung des größten Teils dieser 14.000 Mann starken Personentruppe viele kostbare Wochen vergingen. Ihre schnelle Stationierung hätte möglicherweise einen deeskalierenden Einfluß auf das Kriegsgeschehen gehabt.

Doch selbst wenn alle Mitgliedsstaaten ihre Beiträge zumindest für die Friedensmissionen bezahlt hätten: die für dieses Jahr veranschlagten 844 Millionen Dollar dürften kaum ausreichen. Derzeit laufen Einsätze mit über 50.000 UNO-Personen in elf Konfliktregionen, und der Ruf nach weiteren UNO-Einsätzen — z.B. in Nagorni-Karabach — wird immer lauter.

Genaue Vorstellungen über die tatsächlichen Kosten für die Friedensmissionen werden in der UNO zumindest nicht öffentlich gehandelt. Gegen einige detaillierte Kalkulationen Butros Ghalis gibt es hefigte Einwände. Im Sicherheitsrat könnten kaum mehr Beschlüsse über den Einsatz von UNO-Personal gefaßt werden, wenn die fünfzehn Mitgliedsstaaten mit dem Aufheben ihrer Hand zugleich das Budget beschließen und damit entsprechende Zahlungsverpflichtungen eingehen müßten. Andreas Zumach