: Der Ruf nach Intervention wird lauter
■ Unter dem Druck der US-amerikanischen Presse will US-Präsident George Bush den UNO-Sicherheitsrat anrufen, um die Lieferung von Hilfsgütern nach Bosnien notfalls mit militärischer Gewalt zu sichern.
Der Ruf nach Intervention wird lauter Unter dem Druck der US-amerikanischen Presse will US-Präsident George Bush den UNO-Sicherheitsrat anrufen, um die Lieferung von Hilfsgütern nach Bosnien notfalls mit militärischer Gewalt zu sichern.
Was wäre, wenn Bosnien Öl hätte? Diese rhetorische Frage stellte gestern ein Kolumnist der Washington Post. Die Antwort kam wenige Stunden später, als US-Präsident George Bush erstmals auf die jüngsten Fernsehberichte über serbische Gefangenenlager reagierte. Hätte Bosnien Öl, wäre in seiner Stimme zumindest mehr Pathos und Entschlußkraft zu hören gewesen. Zuerst wollte George Bush gar nicht zur Situation in Bosnien-Herzegowina Stellung nehmen. Dann entschied er sich anders.
Angesichts der Fernsehbilder aus den Internierungslagern in Bosnien improvisierte er auf dem Flughafen von Colorado Springs eine Pressekonferenz und kündigte die nächsten Schritte an: Washington ruft den UN-Sicherheitsrat an, um die Lieferung von Hilfsgütern nach Bosnien- Herzegowina notfalls mit militärischer Gewalt zu sichern; die USA wollen umgehend Botschafter für Kroatien, Slowenien und Bosnien- Herzegowina bestimmen, deren Unabhängigkeit man zwar anerkannt hat, ohne jedoch volle diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Weiter schlug Bush vor, internationale Beobachter in den Nachbarstaaten Serbiens zu postieren, um die Einhaltung des Embargos zu kontrollieren; mit den Nato-Verbündeten will Washington beraten, wie das Militärbündnis die Vereinten Nationen unterstützen könne.
Gefragt, ob er sich moralisch verpflichtet fühle, angesichts der jüngsten Berichte über Internierungslager zu intervenieren, erklärte Bush: „Ich halte es für eine moralische Pflicht, dafür zu sorgen, daß die Lager inspiziert werden.“
Dies ist — so sehr die Menschen in Sarajevo und anderen Städten Bosniens auch darauf hoffen mögen — (noch) nicht der Beginn einer aktiven US-Außenpolitik in der Frage des jugoslawischen Bürgerkriegs. Es ist die eher widerwillige Reaktion auf immer stärkeren Druck in der amerikanischen Öffentlichkeit, vor allem aber von Seiten seines Kontrahenten Bill Clinton und des US-Kongresses. Am deutlichsten ist die Sprache der amerikanischen Juden: In einem offenen Brief, als Anzeige in US-Zeitungen veröffentlicht, appellieren Organisationen wie der American Jewish Congress und das American Jewish Committee an die Staatschefs der führenden Nationen, den Grausamkeiten in den „serbischen Todeslagern“ Einhalt zu gebieten. Fünfzig Jahre nach dem Holocaust dürfe man nicht erneut tatenlos zusehen.
In einer gemeinsamen Aktion haben republikanische und demokratische Senatoren im Auswärtigen Ausschuß des Senats eine Resolution eingebracht, in der der Einsatz „aller notwendigen Mittel“ zur Sicherung humanitärer Hilfe verlangt und der UN-Sicherheitsrat zur einer Dringlichkeitssitzung über eine mögliche militärische Intervention aufgefordert wird.
Vielen geht das noch nicht weit genug. Sie wollen gezielte Luftangriffe gegen serbische Stellungen und militärische Einrichtungen in Serbien in Erwägung ziehen. Joseph Liebermann, demokratischer Senator aus dem US-Bundesstaat Connecticut, und einer der Befürworter der Vorlage, erklärte, niemand wolle eine Operation Balkan Storm. Es gehe in diesem Fall auch nicht darum, einen Krieg zu gewinnen, sondern um ein Signal der internationalen Staatengemeinschaft an Serbien, daß man diese Grausamkeiten nicht hinnehmen werde. „Nur“ die Lieferung humanitärer Hilfe zu sichern, halten viele Senatoren, aber auch Kommentatoren in der US-Presse für unzureichend. Die Schlußfolgerung auch hier: Bombenangriffe auf serbische Stellungen in Bosnien und militärische Ziele in Serbien.
Soweit will Bush bislang nicht einmal denken. Er ist allenfalls bereit, den Transport von Hilfsgütern auf dem Luft- und Landweg in einer „Mission der Barmherzigkeit“ militärisch zu schützen. Ob diese Absichtserklärung tatsächlich Konsequenzen haben wird, hängt letzlich vom Votum der ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates ab.
Parallel zu der Bush-Initiative hat die Nato in Brüssel ein ähnliches Angebot erwogen. Nach internen Vorberatungen haben die Nato-Staaten bis Montag Zeit, um zu entsprechenden Überlegungen Stellung zu beziehen, teilten Diplomaten am Freitag am Brüsseler Nato-Sitz mit. Allerdings will die Nato nur im Auftrag der Vereinten Nationen oder der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) aktiv werden.
Auch in Bonn verschärfte sich die Debatte um eine militärische Intervention. Verteidigungsminister Rühe empfahl, es sollte überlegt werden, „ob man nicht noch stärker die Daumenschrauben anzieht, um den Krieg von außen auszutrocknen“. Für einen gezielten Einsatz von Luftstreitkräften gegen die von Serbien beherrschte Bundesarmee plädierte der SPD-Bundestagsabgeordnete Andreas von Bülow. In der Krisenregion laufe ein „gezielter Vertreibungsprozeß“. Im Gegensatz zu von Bülow meinte Niedersachsens SPD- Ministerpräsident Gerhard Schröder, durch ein militärisches Eingreifen in Bosnien-Herzegowina würde sich die Lage der vom Bürgerkrieg betroffenen Zivilbevölkerung nicht ändern. Auch der SPD-Außenpolitiker Günther Verheugen bezweifelte die Erfolgsaussichten eines militärischen Einsatzes. „Man würde im Gegenteil das zerstören, was man retten will“, sagte er im Südwestfunk.
Unterdessen hat der bosnische Vertreter bei der UNO schwere Vorwürfe gegen die UNO erhoben. Die Organisation, so Botschafter Muhamed Sacirbey, habe seit über einem Monat von der Existenz der Lager gewußt. In einem Memorandum vom 3.Juli haben UN-Mitarbeiter, die in Kroatien an der Grenze zu Bosnien stationiert waren, Informationen über vier Lager zusammengetragen die in dem Bericht ausdrücklich als „Konzentrationslager“ bezeichnet werden. Der UN-Sicherheitsrat rührte sich jedoch erst am Dienstag, als erste Presseberichte über die Lager veröffentlicht wurden. Daraufhin hatte das Gremium die verantwortlichen serbischen Stellen aufgefordert, Vertretern internationaler Hilfsorganisationen in den Lagern Zugang zu gewähren. Dem von Sacirbey vorgelegten Memorandum ist allerdings zu entnehmen, daß auch das Internationale Rote Kreuz und Mitarbeiter des UN-Flüchtlingskommissariats seit Anfang Juli von den Lagern gewußt haben.
Als Reaktion auf die weltweite empörung hat der jugoslawische Präsident Dobrica Cosic die Einberufung einer internationalen Kommission vorgeschlagen, die mit der Untersuchung der Zustände in den Gefangenenlagern beauftragt werden sollte. Die Kommission solle unter Schirmherrschaft der Vereinten Nationen arbeiten und unter anderen aus früheren Insassen von Konzentrationslagern der Nationalsozialisten zusammengesetzt werden. Cosic nannte als Beispiel den jüdischen Schriftsteller und Friedensnobelpreisträger von 1986, Elie Wiesel, der 1944 im KZ Auschwitz interniert wurde. Die Regierung der USA hatte am Mittwoch die Einberufung einer Sondersitzung der Menschenrechtskommission der UNO beantragt. Andrea Böhm, Washington
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