Wo die wilden Kerle tanzen

■ Das Jahrmarktstheater im Zelt / Compagnia Buffo auf der Bürgerweide: ein verzauberndes Gesamtkunstwerk hatte Premiere

Vielleicht haben Sie die Compagnia Buffo durch die Stadt ziehen sehen, mit ihrer aufrührend-lärmenden Blasmusik, ein Umzug wilder, mittelalterlicher Gaukler, die Sie ins Zelttheater auf der Bürgerweide locken wollen. Wie Rattenfänger. Folgen Sie ihnen!

Noch vor Beginn der eigentlichen Vorstellung, wenn alle schon erwartungsvoll auf den runden Holzbänken sitzen und die Einstimmungsmusik gerade verstummt, geht ein kleines Mädchen durch die Reihen und verkauft — Wundertüten. Wundertüten!

Kichern, entzücktes Lachen, „hast du das gesehen, siehst du das!“. Schaudern, Erschrecken und Aufatmen. Mehr, mehr, mehr! Bei aller Inszenierungs- Ironie - manchmal möchte man sich an den Händen halten wie die Kinder.

Die Compagnia Buffo veranstaltet ein Spektakel quer durch alle klassischen Künste, die der theatralischen Realitäts-Enttrückung dienen: Kino und Kasperletheater; lebendiges Spielzeug-Spiel und erschütternde Oper, italienisch; Bänkelgesang, Scherenschnitt- und Schattenspiel. Und ein waschechter Stummfilm, nicht auf der Leinwand — auf der Bühne.

Dazwischen die wild musizierenden Kerle und Weiber. Obzön und frech und unschuldig tollen sie sich vor dem rotsamtenen Lumpenvorhang und lassen den ZuschauerInnen keine Sekunde Zeit, um in die Realität zurückzufinden. Wer aber wollte das auch?

Ein Traumspiel, dieses ganze Theater, ein verblüffendes Ineinandergleiten der Spielebenen. Das freche Gör aus dem Publikum, vom peinlich berührten Vater vergebens zurückgerufen, hüpft auf die Bühne und erkennt „Bello, Bello! „ in dem gerade spielenden Film seinen Hund, der über grüne Wiesen läuft. Das Mädchen sucht ihr Hündchen hinter der Leinwand und — ist plötzlich selbst mitten im Film. Der aber wird schnell zum Märchen von Rotkäppchen und dem Wolf, aufgeführt von lebendigen Puppen im Bühnen-Kinderzimmer, eine tragisch-komische Geschichte von der ersten Liebesneugier, ganz im Sinne einer psychologischen Märcheninterpretation.

Oder: In einer Scherenschnitt- Kutsche reist an der Müde Tod, steigt aus und — wandelt würdig über die Bühne, um einzutreten in die schwarz-weiße Stummfilmwelt des Fritz Lang, in der die SchauspielerInnen, eben noch quirlige Gaukler, nun blaß im abgehackten Stil des frühen Films agieren.

Das Verwandlungsgeschick der sechs Akteure ist atemberaubend. Der schöne Jüngling wird zum häßlichen Lumpen, zum Harlekin, zum schachernden Alten, zum Teufel und wieder zum schönen Jüngling. Das liebliche Mädchen zur Großmutter, zur geilen Hexengestalt und so weiter und so weiter. Willi Lieverscheidt, der Begründer der Compagnia Buffo, ist ein Zauberer, mit seinem merkwürdig einprägsamen Gesicht der gute oder böse Geist jeder Szene.

Die wilden Kerle werden wieder durch die Stadt ziehen, mit Pauken und Trompeten und einer kleinen Flöte. Der Rattenfängerflöte. Folgen Sie ihr! Cornelia Kurth

Aufführungen: Bis zum 3o. August außer Montags jeden Tag um 20.30 Uhr auf der Bürgerweide. Am 15./16. gibt's ein extra Kinderprogramm um 15.00 Uhr.