Fisch, Baguettes und deutsches Bier in Tokio

Einkaufen in der teuersten Stadt der Welt/ Die alternative Kooperative liefert vor die Haustür/ Bestellung per Computer  ■ Aus Tokio Georg Blume

Als Himmel für Produzenten, jedoch als Hölle für den Verbraucher — so wird uns Japan in allen gängigen Landesfibeln präsentiert. Den wenigsten ist dabei klar, daß es sich um eine sehr subjektive Sicht der Dinge handelt. Denn die Hölle ist Japan wohl nur für den westlichen Normalverbraucher, der ohne Supermarkt- Standard nicht auskommt.

Ich selbst habe noch selten so gut und gerne eingekauft wie in Tokio, der unbestreitbar teuersten Stadt der Welt. Denn wer sich erst einmal an die hohen Preise gewöhnt hat und die Mengen — so wie es alle tun — entsprechend kleiner bemißt, entdeckt bald das japanische Konsumparadies. Da gibt es zwar weniger große Firmennamen und weniger Massenware als bei uns, dafür aber so unendlich viele Fisch-, Gemüse- und Algensorten, daß es mir als japanischem Küchenimprovisator jedes Mal die Sinne verschlägt. Weil jedoch die Zahl der Supermärkte noch klein und der Einzelhandel allgegenwärtig ist, läßt sich guter Rat leicht finden. Nirgendwo wird der Kunde in Japan alleingelassen, selbst wenn er ein unwissender Ausländer ist.

Eine Besonderheit des japanischen Vertriebssystems sind zudem die zahlreichen Lebensmittelkooperativen. Ihr Beispiel stammt aus den USA, doch haben sich die Kooperativen in Japan schneller entwickelt und seit den sechziger Jahren Millionen treuer Anhänger gefunden. Fast ließe sich sagen, in Japan hätten die Kooperativen die Supermärkte überflüssig gemacht. Tatsächlich kauft man bei ihnen sehr viel günstiger und auch nur einmal pro Woche in großer Menge ein. Das geschieht heute mit einem computerlesbaren Bestellzettel, dessen Warenliste dann eine Woche später vor die Haustür gefahren wird. Die Kooperativen variieren in Preis, Warenangebot und Service nicht weniger als die üblichen Geschäfte. Wir selbst sind seit Januar bei „Daiichi“ eingetreten, einer zum Großunternehmen angewachsenen Alternativ-Kooperative, welche die in Tokio sündhaft teuren Bio-Produkte sämtlich zum halben Preis ins Haus bringt.

Verwirrend sind beim Einkauf die Größenverhältnisse. Paprika, Gurken und Auberginen sind nur halb so groß wie in Europa, doch dafür schmecken sie auch doppelt so gut. Also macht es nichts, wenn sie pro Stück genauso teuer sind. Für Fleisch läßt sich ähnliches leider nicht sagen. Der Genuß von Tierischem kostet in Japan doppelt oder dreimal soviel. Daher meinen viele Japaner, Europa habe einen höheren Lebensstandard. Ich kann das angesichts des hiesigen Fischangebots allerdings kaum nachvollziehen. Außerdem muß man die wichtigsten westlichen Genüsse nicht entbehren.

Als wir vor einigen Monaten an den Stadtrand ins Grüne umsiedelten, befürchtete ich zunächst, auf frisches Baguette und andere zu Hause geschätzten Unentbehrlichkeiten verzichten zu müssen. Doch wieder einmal hatte ich die japanischen Verhältnisse unterschätzt. Natürlich gab es auch am Stadtrand den „Saint-Germain-Bäcker“ nach Pariser Art und daneben gleich noch die Bio-Großbäckerei „Kandaseiyoken“. Ihre Brotauswahl reicht vom Holsteiner Schwarzbrot bis zum Schlesischen Graubrot. Ein deutscher Lehrmeister sorgt dafür, daß auch alles ganz wie in der Heimat schmeckt. Darin liegt wohl eine japanische Spezialität: Wenn man schon etwas nachmacht, dann auch richtig.

Was aber ist deutsches Brot ohne deutsches Bier? Ich traute meinen Augen nicht, als ich ausgerechnet bei meinem kleinen Sake-Händler entfernt „König-Pilsener“ entdeckte. Zudem erklärte mir der Ladenbesitzer freundlich, daß er aus Deutschland nur Köpi führe, weil es in Japan das einzige deutsche Exportbier sei, das noch nach dem alten Reinheitsgebot hergestellt werde. So leuchtete mir erstmals ein, warum mir deutsches Bier in Tokio bisher nicht schmeckte. Schließlich wird das japanische Bierangebot von drei großen Firmen (Kirin, Asahi und Sapporo) beherrscht, deren Reis-Malzgemischen bei aller Liebe zum Reis kaum zu trauen ist.