: Nix Windeln, nix Demo, nix einheitliche Linie
■ Wenn Deutschland nicht regiert wird, Folge 3: Kaum sind die Bosse in Urlaub, weiß keiner mehr, wofür er sein soll
Bonn (taz) — Wer möchte schon in Serbien durch Heckenschützen sterbien ... Geschmacklos? Gefällt Ihnen nicht, daß sowas in Ihrer ideologisch einwandfreien Zeitung steht? Soll ich Ihnen mal was sagen: Dann lesen Sie doch was anderes. Zum Beispiel: Bosnien, Irak, Türkei — bei jeder Schweinerei ist die USA dabei. Wußte ich's doch, das gefällt Ihnen, gell? Für diesen Spruch ist es vielleicht noch ein bißchen früh. Den sollten Sie trotzdem schon mal auswendig lernen; doch, doch, das schaffen Sie schon. Hat ja auch lange genug gedauert, bis daß das Jugoslawien-Problem skandierfähig geworden ist.
Sagen Sie mal: Was machen Sie eigentlich, wenn der Bush jetzt seine Jungs auf den Balkan schickt? Wissen Sie noch nicht? Irgendwie schwierig, sagen Sie? Nix Demo? Nix weiße Windeln vom Balkon hängen? Kein Schweigen für den Frieden vor Hertie? Ach! Sie wollen lieber Dubbiedubbie bei den Waisenkinder machen oder eine Haushaltshilfe engagieren? Die Züge, die am Freitag von Bonn nach Bosnien gefahren sind, sind ja schon wieder zurück. Sie können ja mal gucken, ob für Sie was dabei ist.
Ja. Der Imperialismus ist auch nicht mehr das, was er mal war. Können Sie ruhig zugeben, daß Jugoslawien Ihnen ein Jahr lang schnurzpiepe war. Kroaten, Serben, Bosnier und alle ballern aufeinander rum. Kapiert doch keiner. Wenn die Amis nicht mitmachen, weiß eben niemand, gegen wen er demonstrieren soll.
So richtig kapier' ich das immer noch nicht. Rühe will nicht. Tut auf einmal so, als sei er Chamberlain. Churchill?, fragen Sie. Hier in Bonn? Können Sie sich Kohl vielleicht mit Zigarre vorstellen? Na also. Und über Roosevelt reden wir erst gar nicht, sonst wird das hier ein Schäuble-verachtender Text.
Von Bülow macht jetzt auf tough guy und dann kommt Engholm und haut ihm mit seiner Pfeife etwas aufs Maul. Als wäre er Wehner. Ich sag' Ihnen was: Hier in Bonn kommt seit der Wiedervereinigung alles durcheinander. Schon bei der Hauptstadtfrage konnte man sich auf keinen mehr verlassen. Beim Paragraphen 218 hatten wir plötzlich wieder eine sozialliberale Koalition — und jetzt? Nehmen wir mal an, wir dürften da unten richtig mitmischen, was glauben Sie, was hier in Bonn los wäre? Rühe und Gysi in der Pazifistenfront, von Bülow und Gerster wie alte Kameraden. Kohl macht erst mal Urlaub, aber alle wissen, der will auch. Im Grunde juckt's doch allen in den Fingern. Blöd ist bloß, daß man nix Genaues weiß, denn wer möchte schon in Serbien ...
Diese beiden Abgeordneten mit den Waisenkindern, das waren doch im Grunde die ersten beiden Einzelkämpfer. Hinterher hat man ja schweres Geschütz gegen die beiden aufgefahren, die taz auch. Völlig klar: Die haben das nur gemacht, um ihre Kontingente vollzukriegen, gibt ja auch sonst keine anderen Möglichkeiten. Für jeden kleinen Bosnier kriegt man vermutlich eine Extraprämie vom Bund, wenn man den hier lebendig abliefert. Oder was glauben Sie? Mitleid? CDU- Abgeordnete machen was aus Mitleid? Das ist nicht skandierfähig! Aber ich sag' ja: Seit die Obermotzer in Urlaub sind, geht hier in Bonn alles durcheinander. Claus Christian Malzahn
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