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INTERVIEW„Wir rechnen mit der humanitären Kraft der deutschen Gesellschaft“

■ Rupert Neudeck, Vorsitzender des „Komitee Cap Anamur/Deutsche Notärzte“ zum humanitären Engagement seiner Organisation für die bosnischen Flüchtlinge

taz: Herr Neudeck, die Hilfsgüter, die Sie in Hamburg eingeladen haben, waren ja eigentlich für die somalischen Flüchtlinge bestimmt. Sie haben offenbar einfach kurzfristig umdisponiert und sind statt dessen nach Split gefahren. Aus welchem Grund?

Rupert Neudeck: In der Tat hatten wir die Hilfsgüter für die Somalis vorgesehen, für Flüchtlinge, die auf dem Meer sind und für andere, die bereits in Jemen gestrandet sind. Aufgrund der drängenden Situation auf dem Balkan haben wir uns dann entschlossen, einen Abstecher zu machen, um zunächst bosnische Flüchtlinge nach Deutschland zu bringen. Wir werden anschließend das ursprüngliche Vorhaben angehen und ins Rote Meer fahren.

Da setzen Sie sich aber doch dem Verdacht aus, daß Sie auf einmal auf der „Jugo-Welle“ mitschwimmen. Alle sprechen ja von den bosnischen Flüchtlingen. Da wollen Sie nicht von Somalia reden. Aber dort ist doch die Situation objektiv viel schlimmer. Dort verhungern die Menschen...

Ich gebe gerne zu, daß es mir große Sorgen bereitet, mit einem Schiff voll somalischer Flüchtlinge nach Hamburg zu kommen. Die Situation in der Bundesrepublik ist ja nicht gerade günstig für die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Horn von Afrika. Wir haben aber im Roten Meer eine Boat-people-Situation. Es geht um die klassische Aufgabe von Cap Anamur, ein Flüchtlingsrettungsschiff bereitzustellen. Diese Situation haben wir in der Adria nicht. Ich gebe zu, daß Cap Anamur in den letzten drei Jahren in Gegenden geholfen hat, in denen das Elend und die Not kleiner sind als am Horn von Afrika. Trotzdem ist es richtig, jetzt, wo die Hilfsbereitschaft, die in der deutschen Bevölkerung sich so plötzlich eingestellt hat, zu zeigen, daß nicht nur die Regierung bestimmen kann, wie hoch die Quote der Flüchtlinge ist, die aufgenommen werden, sondern daß das auch die Gesellschaft kann. Wir haben immer Wert darauf gelegt zu beweisen, daß die Gesellschaft von sich aus aktiv werden kann und Regierungen zum Handeln zwingen kann.

Haben Sie denn auch die Absicht, somalische Flüchtlinge aus dem Meer zu fischen und in Deutschland an Land zu setzen?

Was heißt hier Absicht? Es ist eine Pflicht, humanitär zu handeln. Vorgestern sind 50 Somalis in der Bucht von Dschibuti ertrunken. Da haben Seelenverkäufer vor der Küste Kenias zwei Küstenmotorschiffe mit Menschen vollgestopft. Wir können schiffbrüchigen Menschen die Aufnahme nicht verweigern. Das verbietet nicht nur das Völkerrecht und die Genfer Konvention, sondern auch das Seerecht jedem Kapitän. Wir werden also im Roten Meer Menschen aufnehmen.

Aber Sie befürchten offenbar trotzdem, daß Sie mit einer Aktion vor Somalia nicht die nötige Aufmerksamkeit fänden, jetzt, wo alle Welt von den bosnischen Flüchtlingen spricht...

Auf die Idee mit den bosnischen Flüchtlingen sind wir wegen einer Titelseite Ihrer Zeitung, der Berliner „tageszeitung“, gekommen. Nachdem die Zerstörer und Kreuzer der Bundesmarine und anderer Staaten in der Adria auftauchten — ein nutzloses Unterfangen übrigens—, schrieb die taz: Eigentlich bräuchte man da eine Cap Anamur. Das hat uns in unserer Ehre getroffen, und wir haben uns gesagt: Verdammt noch mal, die Leute haben recht. Aber wir dürfen nicht das eine gegen das andere aufwiegen, die Entscheidung, zunächst in die Adria zu fahren, bedeutet nicht, daß wir das Verhungern und Verdursten der Somalis weniger schlimm finden als das, was in Europa geschieht.

Sie nehmen 350 Flüchtlinge aus dem Lager in Posusje und aus Mostar an Bord? Wer trifft die Auswahl? Wer darf mit ins Boot, und wer bleibt draußen?

Ich nicht. Ich habe großes Vertrauen in die Leute, die dort vor Ort arbeiten. Wichtig ist, daß Frauen, die nicht mehr weiterwissen, die sich um sechs Kinder zu kümmern haben, die in einer schlechten Verfassung sind, erst mal einen Platz finden, wo sie zur Ruhe kommen können, wo sie wissen, daß auch ihre Kinder versorgt werden.

Haben Sie denn eine Erlaubnis, die Leute in Deutschland auszuschiffen?

Wir rechnen mit der humanitären Kraft der deutschen Gesellschaft; man wird es nicht zulassen, daß Flüchtlinge an Bord eines deutschen Schiffes warten müssen...

Sie wollen also die Behörden unter Druck setzen, sie vor vollendete Tatsachen stellen?

Ja natürlich. Genauso, wie Sie sagen.

Haben Sie denn schon Kontakte mit den Hamburger Behörden aufgenommen?

Ich habe Kontakt zum Senat der Stadt Bremen. Dort gab es vor zehn Tagen eine Diskussion. Der Senat hat unserer Aktion gegenüber Wohlwollen signalisiert für den Fall, daß wir die Flüchtlinge in Bremerhaven statt in Hamburg ausschiffen und dann unterbringen wollen. Aber man möchte sich nicht gerne öffentlich hinstellen und etwas tun, was außerhalb der offiziellen Markierung liegt. Die Markierung ist ja: eine bestimmte Zahl von Flüchtlingen wird aufgenommen. Und wir sagen jetzt einfach: plus 350.

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