Gemüt live, Träne im Auge

■ Im Subtropia: Plümeckes Blasorchester, Kaffee, Kuchen und Kastanien

Hochbetrieb in Subtropias Garten. Es ist, als hätten sich Busladungen von Menschen über Garten und Café in der Bremer Vahr ergossen. Und doch haben sie schließlich alle auf den rot-grünen Holzstühlen oder weißen Plastiksesseln unter Obst- und Kastanienbäumen Platz gefunden. „Das ist Stammpublikum“, versichert die Wirtin Johanne Albert, „das sind alles typische Bremer.“ Manche kommen von weither aus dem Bremer Norden oder Westen, um IHN zu sehen: Herbert Plümecke mit seiner Blaskapelle. So wie mein Tischnachbar: Seit Jahren sind er und seine Frau jeden zweiten Donnerstag dabei, wenn Genosse Plümecke in dem kleinen Pavillon unter Kiefern und Tannen sein 30 Mann starkes Blasorchester dirigiert. Er beugt sich zu mir herüber: „Das ist eine ganz andere Musik als das Jazzgeplärre. Das ist Harmonie. Wie eine Orgel. Das spricht das Gemüt an.“ Und wie zum Beweis zerdrückt eine Dame drei Tische weiter zu den Klängen von „Aber dich gibt's nur einmal für mich“ eine Träne im linken Auge.

Die Auftritte von Plümeckes Blasorchester im Subtropia sind seit 25 Jahren eine Institution. „Da kommen die wirklichen Liebhaber von dieser Musik“, sagt Wirtin Albert. „Für uns Alte ist das ganz große Klasse, aber auch für junge Leute. Für alle, die nirgendwo anders hingehen können.“ Und mein Tischnachbar fühlt sich in diesem Milieu von Musikliebhabern sehr wohl. „Bei diesen Konzerten versammelt sich die Plümecke-Gemeinde. Man sieht immer wieder dieselben Gesichter.“ Überwiegend sind es Damen-Gesichter, zu denen Hüte und blau-, rot- oder buntgeblümte Kleider gehören. Der Donnerstag mit Herbert Plümecke ist ein Ereignis, für das die beste Sommergarderobe gerade gut genug ist. Im Winter trifft sich die Plümecke-Gemeinde in der „Glocke“, wo der Dirigent vor großem Streichorchester zu Hochform aufläuft.

Herbert Plümecke ist ein korrekt gekleideter älterer Herr mit exakt gescheiteltem weißem Haar und Goldrandbrille. Nie vergißt er die Anrede „Meine Damen und Herren“, bevor er die nächste Melodienfolge ansagt, und stets schließt er mit den Worten „Ich wünsche Ihnen viel Freude und Spaß.“ Ein Satz wie eine Verbeugung. Dann greift Herr Plümecke wieder zum Taktstock.

„Wir machen für jeden etwas“, erklärt mir der freundliche Herr Plümecke: Operette, Musical, Klassisches und Volkstümelndes. Als „Kur-Konzerte für Daheimgebliebene“ werden die Darbietungen von Plümeckes Blasorchester im Subtropia von Kultursenatorin Trüpel bezuschußt.

Zu den Klängen der „lustigen Holzhackerbuam“ und des Gefangenenchors aus Nabucco balancieren die Kellnerinnen schwer beladene Tabletts voller Cremetorten, Kaffeekännchen und Kräusel-Pilsgläsern durch Subtropias Garten. Um halb sechs gibt's Käsebrote. Die Tische füllen sich mit leeren Gläsern und Flaschen. Zigarrenrauch hängt in der Luft, und von oben rieseln Geranienblüten herunter. „Meine Damen und Herren, weil es hier so warm ist, bringen wir jetzt 'Im sonnigen Süden'“, kündigt Herbert Plümecke an. Auf Paso Doble folgt „Griechischer Wein“. Die Mutigen singen oder pfeifen mit, die Schüchterneren wippen leicht im Takt.

Die ersten nutzen die Pause zum Aufbruch: „Tschüß, Ihr Lieben!“ — „Schönen Urlaub, gute Heimfahrt!“ Ein Pudel zieht sein Herrchen hinter sich her. Herbert Plümecke kündigt das „Abschieds-Potpourri“ an.

„In die SPD, wie sie heute ist, würde ich nicht mehr eintreten“, sagt mein Tischnachbar. „Denen ist der eigene Geldbeutel doch auch am nächsten. Das hat mit sozial nichts mehr zu tun, das ist streng kapitalistisch.“ Früher, vor 33, hat mein Nachbar, der so alt ist wie dieses Jahrhundert, in der Polizeikapelle gespielt. Er kennt jeden Titel und jedes Instrument. „Das ist Harmonie. Für mich muß Musik wohltönend sein, daß ich es nachsingen kann.“ Und dann erklärt er mir den Unterschied zwischen einem Musiker und einem Musikanten: Ein Musiker fühlt, was er spielt, ein Musikant liest nur die Noten. Und leise fällt er ein: „Nun ade, Du mein lieb Heimatland ...“ Diemut Roether