Bollwerk gegen »Überfremdung«

■ Um die Siemens AG vor »schädlichen äußeren Einflüssen« zu schützen, genehmigt der Senat der Familie Siemens Mehrstimmrechte/ Die Familie kann damit das sechsfache Stimmrecht ausüben

Berlin. Wirtschaftssenator Norbert Meisner wirbt in aller Welt für das Engagement ausländischer Unternehmer in Berlin, doch wenn es gilt, »gesamtwirtschaftlich schädliche äußere Einflüsse« zu vermeiden, ist er bereit, deutschen Unternehmern Sonderrechte einzuräumen. Von einem solchen Sonderrecht profitiert bereits seit 1942 die Familie Siemens. Auf ihren Namen sind 1,75 Prozent der Aktien des gleichnamigen Konzerns ausgeschrieben. Doch übt sie auf diese Aktien das sechsfache Stimmrecht aus. Ihr Wort hat also in Hauptversammlungen das gleiche Gewicht wie 10,5 Prozent der übrigen Aktien.

Ein solches Mehrstimmrecht ist nach dem Aktiengesetz unzulässig. Ausnahmen kann die für Wirtschaft zuständige Landesbehörde zulassen, »soweit es zur Wahrung überwiegender gesamtwirtschaftlicher Belange erforderlich ist«. Dieses Erfordernis sah der Berliner Wirtschaftssenator gegeben, als im letzten Jahr eine Kapitalaufstockung bei der Siemens AG anstand. Er erklärte in einem Schreiben an das Unternehmen, daß er »grundsätzlich damit einverstanden« ist, daß dabei auch Mehrstimmrechtsaktien ausgegeben werden. Daß es bislang noch nicht dazu gekommen ist, liegt an einem Gerichtsverfahren, das ein anderer Aktionär gegen diese Bevorzugung angestrebt hat.

46,2 Millionen Mark beträgt der nominale Wert dieser Vorzugsaktien, doch schätzt der bayerische Landtagsabgeordnete der Grünen, Raimund Kamp, daß wegen der damit verbundenen Stimmrechte der tatsächliche Preis um ein mehrfaches höher liegt. Die Familie Siemens besitze weitere 8 Prozent der normalen Stammaktien. Mit diesem gesamten Stimmpotential von gut 18 Prozent hat sie bei jeder Hauptversammlung einen entscheidenden Einfluß, da sich der Gesamtbesitz auf zirka 580.000 Aktionäre verteilt. Denn dort ist nur das anwesende Kapital stimmberechtigt. Bei der letzten Siemens-Hauptversammlung lag dies zum Schluß bei knapp 60 Prozent.

Senat ist nicht glücklich mit Sonderregelung

Kamp und seine Berliner Parteifreundin Michaele Schreyer wollen den Sinn einer solchen Bevorzugung nicht einsehen. In Anbetracht der europäischen Einigung sei dieses Sonderrecht, so Schreyer, geradezu skandalös. In der Berliner Wirtschaftsverwaltung ist man auch nicht glücklich mit dem eigenen Votum. Man habe sich dem bayerischen Vorgehen angeschlossen. Da Siemens sowohl in München als auch in Berlin seinen Hauptsitz hat, mußten beide Wirtschaftsminister zustimmen. Der bayerische Wirtschaftsminister hatte sofort ein Einsehen, daß bei dem Rüstungskonzern »der Gefahr vorgebeugt werden« müsse, »daß die Geschäftspolitik der Siemens AG durch gesellschaftszweckwidrige Anliegen überfremdet wird«. Gar so drastisch mochte die Berliner Wirtschaftsverwaltung ihre Begründung nicht formulieren.

Das Mehrstimmrecht, so die prägnante Zweckbeschreibung des Sprechers der Wirtschaftsverwaltung, Lothar Stock, sei ein »Bollwerk, wenn feindliche Übernahme droht«. Dies sei vor allem in den siebziger Jahren virulent gewesen, als arabische Ölscheichs sich auf dem deutschen Kapitalmarkt einkaufen wollten. Mittlerweile sind nur noch ganz wenige Unternehmen mit diesem Bollwerk ausgestattet. Meisner geht auch davon aus, daß im Rahmen der europäischen Rechtsangleichung diese Regelung »zu überdenken sein« wird. dr