Tempeelrevolte in Japans alter Kaiserstadt Kyoto

■ Zen oder die Kunst, nicht stinksauer zu werden

Zen oder die Kunst, nicht stinksauer zu werden

Tokio (taz) — Wenn sich in der Kaiserstadt Kyoto die Mönche stritten, zitterte früher das ganze Land. Denn in den Tempeln der alten japanischen Hauptstadt lebten einst die wichtigsten Politiker in Mönchskutten und befahlen dem Kaiser über Krieg und Frieden. Seither sind Jahrhunderte vergangen, doch noch immer horcht die Nation auf, wenn Kyotos Mönche erzürnen.

Vergangene Woche hatte das Bezirksgericht von Kyoto die Tempelgemeinde in Aufregung versetzt. Das Gericht wies eine Klage der einflußreichen „Buddhistischen Vereinigung“ zurück und erteilte einer örtlichen Hotelgruppe die Bauerlaubnis für ein sechzig Meter hohes Hotelgebäude. Wird der Bau nach Plan ausgeführt, wäre das Hotel der erste größere Hochbau in der Tempelstadt und mithin eine Schande für den touristischen Anblick. So zumindest argumentierten die buddhistischen Kläger, die einen Durchstart der Baulöwen befürchten, falls das jetzige Urteil Schule macht. Die Mönche warnen vor einer Gefährdung des Tourismus, welcher der Stadt und seinen Tempeln jährlich über zehn Millionen Besucher und die wichtigsten Einnahmen bringt. Tatsächlich ist Kyoto die einzige japanische Großstadt, die ein städtebauliches Konzept ausweist. Die Stadtväter orientierten sich einst am chinesischen Vorbild in Peking. Schließlich war es die bewußte Rücksichtnahme amerikanischer Feldherren, die Kyoto vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg rettete. So blieb Kyoto erspart, was heute fast alle japanischen Städte gleich aussehen läßt: Der rücksichtslose Wiederaufbau nach dem Krieg. Vom Wiederaufbau profitierte vor allem die Bauindustrie — weshalb die japanische Symbiose aus Bauwirtschaft und politischem Milieu schon fast historisch ist. Nur in Kyoto drehte sich das Rad der Geschichte langsamer. Noch bis lange Zeit nach dem Krieg wurde die Stadt maßgeblich von den Mönchen mitregiert. Solange man nur vom Tourismus lebte, ging das gut. Doch nun spaltet der anderswo längst abgeflaute Finanz- und Immobilienboom zeitversetzt die Lager. Politik und Bauindustrie kämpfen nun gegen den Traditionsgeist in den Tempeln. „Das Gericht“, klagte Tomohiro Kiyotaki, Leiter der Buddhistischen Vereinigung in Kyoto, „wollte den Hotelbau aus politischen Gründen nicht stoppen.“ Er kündigte deshalb eine Fortsetzung von Boykott- und gewaltfreien Aktionen an.

Die Bevölkerung von Kyoto ist in der Sache selbst zerstritten. Kleine Geschäfts- und Kneipenbesitzer unterstützen die Mönche bei ihrem Protest gegen das Big Business. Doch vielen Einheimischen ist die alte Macht der Mönche heimtückischer als das kapitalistische Gesetz des Stärkeren. „Warum protestieren nur die großen Tempel, die ohnehin schwerreich sind?“ fragt ein empörter Herbergsvater und bemerkt: „Von den kleinen Tempeln, denen die Zen-Lehre noch etwas wert ist, habe ich in diesem Streit noch nichts gehört.“ Georg Blume