: Türkei: „Bomben auf serbische Stellungen“
Ministerpräsident Demirel will Präsident Bush von der Möglichkeit einer begrenzten Militäraktion überzeugen/ Harte Vorwürfe gegen UNO: Emargo trifft vor allem Bosniaken/ „Serben machen für christliches Europa die Drecksarbeit“ ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren
In einem Interview mit der linksliberalen Tageszeitung Cumhuriyet verheimlichte der türkische Ministerpräsident Süleyman Demirel nicht seinen Groll über die internationale Haltung zu dem Krieg in Bosnien- Herzegowina. Obwohl offenkundig sei, daß die Serben „Menschenschlächter“ seien, weigere sich die internationale Staatengemeinschaft einzugreifen. „Bush sagt, er wolle nicht in einen Guerillakrieg hineingezogen werden. Wir entgegnen ihm, daß eine begrenzte Operation möglich ist. Eine militärische Luftoperation. Wenn die KSZE und der UN-Sicherheitsrat ihre Beschlüsse nicht durchsetzen können, verlieren sie ihr Ansehen. Falls sie in Bosnien- Herzegowina kein Durchsetzungsvermögen haben, sind alle ihre künftigen Beschlüsse wertlos.“ Vergangene Woche hatte Ministerpräsident Demirel — erfolglos — in einem Telefongespräch mit dem US-Präsidenten versucht, Bush für eine Militärintervention zu gewinnen.
Fast zeitgleich übergab das türkische Außenministerium den Botschaftern der fünf Staaten, die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates sind, einen Aktionsplan für eine Militärintervention. Laut türkischen Zeitungsmeldungen sieht der Plan Ankaras vor, strategische Positionen der Serben von der Luft aus zu bombardieren.
Von Nachbarstaaten wie Österreich, Ungarn und Albanien sowie von Flugzeugträgern in der Adria könnten demnach F-15 und F-16 Bomber starten, die gezielt militärische Stellungen der Serben bombardieren. Mit Rücksicht auf westliche Ängste verzichteten die Strategen in Ankara in ihren Plänen darauf, militärische Bodenoperationen vorzusehen.
In Ankara ist man auch über das UN-Waffenembargo, welches alle Staaten auf dem Gebiet Ex-Jugoslawiens umfaßt, verärgert. Über die Donau würden Waffenlieferungen in Serbien, das ohnehin über den Apparat der jugoslawischen Bundesarmee verfüge, eintreffen. Das Embargo treffe wesentlich die Bosniaken, die der serbischen Agression ausgesetzt sind. „Der UN-Sicherheitsrat muß sofort einen Beschluß herbeiführen, daß die Waffenlager der Serben beschlagnahmt werden, und muß in einem zweiten Schritt mit Luftbombardements auf zentrale serbische Stellungen dem Nachdruck verleihen. Wollen die Serben gegen die ganze Welt kämpfen? Doch falls solche Maßnahmen keine Ergebnisse bringen, muß den Bosniaken das Recht auf ihre Selbstverteidigung eingeräumt werden und das Embargo muß mit Ausnahme Serbiens aufgehoben werden.“ So der türkische Außenminister Hikmet Cetin.
Altes Reichsgebiet der Osmanen
Die türkische Sensibilität dafür, daß große Teile bosnischen Territoriums durch Serben und Kroaten faktisch einverleibt sind, kommt nicht von ungefähr. Bosnien-Herzegowina war jahrhundertelang Reichsgebiet der Osmanen. Die Moslems, die die stärkste Bevölkerungsgruppe darstellen und in den vergangenen Monaten die Hauptopfer von Massakern und Vertreibung waren, sind Nachkommen von Slawen, die während der osmanischen Präsenz auf dem Balkan islamisiert wurden. Hinzu kommt, daß Hunderttausende türkische Bürger bosniakischen Ursprungs sind. Im Laufe des 20. Jahrhunderts nahm die Türkei immer wieder bosnische Flüchtlingswellen im Lande auf.
Immer dann, berichten türkische Medien über die Massaker der Serben in Bosnien, wird bittere Kritik am westlichen Defätismus geübt. „Europa schäme dich“ schlagzeilte vergangene Woche die Tageszeitung Hürriyet, als sie Fotos von internierten Bosniaken in Konzentrationslagern veröffentlichte und Berichte über das Massenmorden in den Lagern druckte. Vergleiche mit Nazi- Deutschland werden gezogen. So wie Großdeutschland, das durch Massenmorde ethnische „Säuberungen“ praktizierte, um der „arischen Rasse Lebensraum“ zu schaffen, verfolgten die Serben Ausrottungsfeldzüge, um ihr Großserbien zu errichten.
„Kein moslemisches Land in Europa“
Die Türkei, die sich brav der internationalen Allianz gegen Saddam Hussein im Golfkrieg anschloß, registriert entsetzt, daß kein Staat seine Finger für Bosnien rühren will. „Wo bleibt die neue Weltordnung. Die Pariser Schlußakte. Alles Blödsinn. Auf keinen Tropfen des Erdöls in Kuwait kann verzichtet werden. Aber das But in Bosnien kann in Strömen fließen“ kommentierte das Massenblatt Sabah. Mehmet Ali Birand, einer der angesehenen liberalen Fernsehjournalisten, der stets die türkische Öffentlichkeit prowestlich einzustimmen versuchte, ist angesichts der internationalen Untätigkeit im Fall Bosniens ins Wanken geraten. Er gestand, das sein Weltbild, geprägt von der Demokratie- und Menschenrechtsethik, erschüttert wird: „Die Ereignisse in Bosnien- Herzegowina zeigen, daß der Westen kein moslemisches Land in Europa will. Dies verwirklicht man, indem man nicht interveniert. Die Drecksarbeit erledigen die Serben.“
Doch die türkischen Politiker wissen sehr wohl, daß die Türkei nicht die Macht hat, die USA und die europäischen Länder zu einer Militärintervention zu bewegen. Der türkische Vorschlag an die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates, militärisch einzugreifen, hat kaum Chancen auf Realisierung. Ein Einzelgang wird von der Regierung kategorisch abgelehnt. So bleibt nur die Verbitterung. Premier Demirel: „Wir tun alles, was das Gewissen gebietet. Doch es ist nur ein Zucken mit den Flügeln“.
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