Zwischen Solidarität und Streikbruch

Der Gesamtbetriebsrat hält sich aus dem Arbeitskonflikt bei VW-Mexiko heraus/ Bald Überstunden in deutschen VW-Werken?/ Innergewerkschaftlicher Konflikt in Puebla macht die Sache kompliziert  ■ Von Martin Kempe

Berlin (taz) — Auch in der dritten Woche des Arbeitskonflikts im mexikanischen VW-Werk hat der Wolfsburger Gesamtbetriebsrat noch keine eigene Position formuliert. Die Lage in Puebla, wo derzeit über 14.000 VW-Arbeiter vom Management ausgesperrt sind, sei noch zu unübersichtlich, meinte Hans- Jürgen Uhl, in dem Gremium verantwortlich für die internationalen Beziehungen. Es gebe widersprüchliche Berichte über die innergewerkschaftlichen Konflikte in der mexikanischen Betriebsgewerkschaft. So habe man Informationen erhalten, daß die Opposition arbeitswillige Beschäftigte mit Gewalt am Betreten des Werks gehindert habe.

Die VW-Betriebsräte werden sich dennoch bald eine Meinung zu den Vorgängen in Mexiko bilden müssen. Denn schon jetzt ist vorauszusehen, daß die Konzernspitze bei länger andauerndem Produktionsausfall in Puebla mit dem Verlangen nach Mehrarbeit in deutschen Werken an die betrieblichen Interessenvertreter herantreten wird. So werden im Zuge der weltweiten Produktionsverflechtung des Auto-Multis die Werke in Salzgitter und Chemnitz mit Rumpfmotoren aus Mexiko beliefert. Und das Werk in Braunschweig ist auf die Zulieferung von Achsen angewiesen — um so mehr, als seit Monaten die Teile aus dem VW-Zweigwerk im umkämpften Sarajewo ausbleiben.

Ob sich der Betriebsrat dem möglichen Ansinnen der Geschäftsführung nach Bewilligung von Überstunden verweigern wird, ließ Uhl noch offen. Aber er deutete die Schwierigkeiten der Betriebsräte an: „Können wir hinnehmen, daß in Deutschland wegen des Streiks in Mexiko kurzgearbeitet werden muß?“ Der Arbeitskonflikt dieses Jahres sei nicht mit dem siebenwöchigen Arbeitskampf vor fünf Jahren zu vergleichen, als sich die Gewerkschafter nach wochenlangem Zögern zur Solidarität mit ihren mexikanischen Kollegen durchgerungen hatten. Damals hatte der Betriebsrat im Kasseler VW-Werk erst nach heftigen internen Diskussionen die Genehmigung für eine zusätzliche Schicht zurückgenommen, nachdem die taz aufgedeckt hatte, daß die Mehrarbeit streikbedingt war und in Kassel somit Streikbrecherarbeit geleistet werden sollte.

Damals wurde der Streik jedoch sowohl von der Betriebsgewerkschaft als auch der gesamten Belegschaft getragen. Die Mehrheit der mexikanischen Arbeiter war angesichts niedriger Löhne und galoppierender Hyperinflation verzweifelt. Das mexikanische Management hatte versucht, der Gewerkschaft mit einem Lohndiktat weit unter der Inflationsrate das Rückgrat zu brechen und nebenbei das eigene Werk im konzernweiten Standortpoker auf dem amerikanischen Kontinent aufzuwerten. Zumindest das ist gelungen: das US-Werk Westmoreland ist inzwischen geschlossen, das Werk in Puebla wurde zum strategischen Standort für den nord- und mittelamerikanischen Markt ausgebaut.

Um so ungelegener kommt dem VW-Konzern der neuerliche Arbeitskonflikt. Gerade jetzt entscheide sich, ob VW die sich neu eröffnenden Marktchancen in den Vereinigten Staaten und Mexiko auch wahrnehmen könne, heißt es in Wolfsburg. Der Betriebsrat mag sich der Argumentation des Managements nicht ganz verschließen: Schließlich seien die Löhne in Puebla ohnehin schon um rund ein Viertel höher als die der amerikanischen und japanischen Konkurrenz. Und die Sicherheit der Arbeitsplätze in Puebla und anderswo hänge davon ab, daß der Konzern die steigende Nachfrage befriedigen könne. In Deutschland komme VW schon heute mit der Auslieferung des neuen Golf nicht nach.

Wann mit einem Antrag der Geschäftsleitung auf Zusatzschichten zu rechnen ist, hängt von den Lieferungen ab, die noch mit den Schiffen unterwegs sind. Im übrigen will sich der Gesamtbetriebsrat aus dem innergewerkschaftlichen Konflikt in Puebla heraushalten: Der Anfang Juli ausgehandelte Tarifvertrag mit Lohnerhöhungen um 15 Prozent plus fünf Prozent Produktivitätszulage bei einer inzwischen auf rund 13 Prozent abgesunkenen Inflationsrate sei nicht schlecht und entsprechend der mexikanischen Gesetzgebung zustandegekommen. Nur die innergewerkschaftliche Opposition habe den Abschluß benutzt, um den Konflikt mit der derzeit im Amt befindlichen Führungsgruppe zu schüren. Eine einfache Solidarisierung mit den Streikenden, so heißt es in Wolfsburg, komme nicht in Frage. Denn damit falle man der gewählten Belegschaftsvertretung in Puebla in den Rücken. Bisher habe man lediglich das Management aufgefordert, alles für eine „vernünftige“ Lösung des Arbeitskonflikts zu unternehmen.