Längst hat der Alltag die Euphorie eingeholt

Als einzige Kommune in Deutschland beschäftigt Leipzig eine Lesbenbeauftragte und einen Schwulenbeauftragten/ Doch trotz großem Engagement machen sich Kathrin Sohre und Peter Thürer keine Illusionen über weitreichende Auswirkungen ihrer Arbeit  ■ Aus Leipzig Nana Brink

Es war vielleicht „unser größter Erfolg“, als die Bürgerbewegten zwei Stellen in der Leipziger Kommunalverwaltung durchsetzten, die es bislang in keiner Kommune gab: fest angestellte Beauftragte für gleichgeschlechtliche Lebensweisen. Marion Ziegler von der Fraktion Bündnis90/Grüne/UFV (Unabhängiger Frauenverband) erinnert sich noch genau an das Abstimmungsergebnis: Mit vier Ja-, drei Neinstimmen und neun Enthaltungen passierten auf Antrag der Bündnis90-Fraktion im Frühjahr 1991 ein/e Lesben- und Schwulenbeauftragte/r den Hauptausschuß der Leipziger Stadtverordnetenversammlung. Die Forderung nach diesen Stellen — „zu Runden- Tisch-Zeiten wollten wir noch ein eigenständiges Dezernat“ — schien nach rigiden Sparmaßnahmen und Stellenabbau innerhalb der aufgeblähten Kommunalverwaltung lange Zeit illusorisch. Vor allem, da dem Beschluß regelrechte Verteilungskämpfe vorausgingen. Senioren- und Behindertengruppen forderten eigene Planstellen und beäugten mißtrauisch die Aktivitäten der Bündnis- Abgeordneten, die sich plötzlich „zwischen allen Stühlen“ wiederfanden. Schließlich glückte mit Unterstützung des Verwaltungschefs ein Kompromiß: Im „Referat der Beauftragten“, direkt dem Dezernat für Soziales, Jugend und Gesundheit unterstellt, schuf man je eine Stelle für die vier Gruppen. Auch wenn Marion Ziegler sich den Erfolg von damals nicht schmälern läßt: Knapp ein Jahr danach hat der Verwaltungsalltag die Euphorie eingeholt. „Aber — allein daß es sie gibt, soll uns erst mal einer nachmachen“.

Daß es sie gibt, aber vor allem, was sie machen, ist immerhin bis in die Ämter der Stadtverwaltung durchgedrungen. Kathrin Sohre und Peter Thürer, beide ehemalige Lehrer/in und seit langem in der Szene aktiv, machen auch keinen Hehl aus den „Anlaufschwierigkeiten“.

„Querschnittsfunktion“ ohne Rederecht

Seit September letzten Jahres teilen sie sich ein kleines Büro im Leipziger Stadtteil Stötteritz. Weit ab vom Neuen Rathaus verbrachten sie die ersten Monate mit „Ämterläufen“. Mit dem Arbeitsvertrag in der Hand und dem Versprechen auf „ämterübergreifende Querschnittsfunktion“ klapperten sie die Abteilungen ab und trafen auf überraschte Gesichter, wenn sie ihr „Guten Tag, ich bin die neue Lesbenbeauftragte der Stadt“ herunterbeteten. „Damals war uns doch auch noch nicht klar, was wir eigentlich machen wollen“, erzählt Kathrin Sohre. Ihre Stellenbeschreibung müssen sie sich selbst stricken — soweit die Leine des Dezernats reicht: Ihnen steht ein Alibi- Etat von 20.000 Mark zur Verfügung, und ihre „Querschnittsfunktion“ erlaubt ihnen, in den diversen Ausschüssen der Stadt gehört zu werden. Ein Antrags- oder Rederecht haben sie nicht. Immerhin landen nun die Unterlagen aus den Ausschüssen und Abteilungen auf ihrem Tisch. Nach dem Crash-Kurs in Sachen Verwaltungsarbeit könne man nun konzeptionell arbeiten, meint Peter Thürer.

Bislang wissen nur wenige von den beiden Beauftragten. Obwohl das Statistische Amt rund 40.000 Menschen mit gleichgeschlechtlicher Lebensweise in der 500.000-Einwohner-Stadt zählt, ist die aktive Szene überschaubar. Feedback bekommen die beiden hauptsächlich aus den wenigen organisierten Gruppen, wie dem Schwulenverband, der seine bundesdeutsche Zentrale in Leipzig hat, dem Schwulentreff „Rosa Linde“, der Lesbengruppe im Frauenkulturzentrum oder dem Lesben-Projekt „Lila Pause“. „Man kennt sich eben noch aus alten Zeiten.“ Viele Treffs, zu DDR-Zeiten bei der evangelischen Studentengemeinde angesiedelt oder staatlich ghettoisiert in der „Rosa Linde“, verlieren an Bedeutung. Der „Ölberg“, ein kleiner Park hinter dem ehemaligen Studentenklub in der „Moritzbastei“, hat nach einigen gewalttätigen Übergriffen auf Schwule sein „Cruising“-Flair verloren. Ausgesprochene Schwulen- oder Lesbenkneipen gibt es nicht. „Die Szene will anonym bleiben“, schätzt Peter Thürer und führt als Grund die Angst vor dem Outing an: „Die meisten fürchten in der heutigen Zeit um ihren Arbeitsplatz oder denken, sie bekommen keine Wohnung.“ Groß sei auch die Angst, „nachts eins über die Mütze zu kriegen“. Alle zwei Wochen werde in Leipzig ein Anschlag auf Homosexuelle registriert. Trotzdem weigert sich Thürer, den vorrangig von westdeutschen Schwulengruppen verbreiteten schlechten Ruf „von Leipzig als schwulenfeindlicher Stadt“ generell zu unterschreiben.

Die Toleranzschwelle ist sehr niedrig

„Die müssen schon mal genauer hinsehen.“ Thürer arbeitet an einer umfangreichen Dokumentation zum Thema Gewalt gegen Homosexuelle, „um endlich vernünftig darüber diskutieren zu können ohne diese unterschwelligen Ressentiments“.

Bei genauem Hinsehen müssen sich die engagierten Beauftragten schon mal den Vorwurf gefallen lassen, nur eine begrenzte Szene zu bedienen, und dies mit öffentlichen Geldern. „Die Toleranzschwelle ist gerade in unserem Bereich sehr niedrig.“ Im neu eingerichteten Lesben- und Schwulenbeirat sitzen die bekannten Köpfe. Kathrin Sohre zweifelt zwar nicht an der politischen Notwendigkeit ihres Jobs, wohl aber an der Effizienz. „Die Leute, die organisiert sind, sind bereits selbstbewußt. An die anderen heranzukommen, ist für uns enorm schwer.“ Sichtbar wird dies bei den schlechtbesuchten Sprechstunden oder wenn es, wie kürzlich beim „Christopher Street Day“, darum geht, Unterstützung aus der Szene zu bekommen. Momentan versuchen die beiden durch öffentliche Veranstaltungen das Tabu-Thema gleichgeschlechtliche Liebe — „und unsere Gesellschaft ist nach wie vor ungeheuer verklemmt“ — publik zu machen. Weil sie ihre Arbeit nicht nur als reine Serviceleistung verstehen, schieben sie selbst Forschungsprojekte an, sowohl zur DDR-Geschichte der Szene wie zum aktuellen Stand. Kathrin Sohre sitzt darüber hinaus in einer Kommission beim sächsischen Kultusminister, die einen „Sexualleitfaden“ für Schulen erstellen soll. Allem Engagement zum Trotz geben sich beide keinen Illusionen hin: „Wir sind hier nur eine Schnittstelle, können vermitteln und Fälle von Diskriminierung aufdecken.“ Für das kulturelle Angebot gilt für Leipzigs Schwule und Lesben weiterhin: Auf nach Berlin!