Mit Durchatmen bis zum Winter warten

■ Der Sommer eilt immer neuen Höhepunkten zu, die Ozonwerte auch: 351 Mikrogramm Reizgas pro Kubikmeter Luft hat das Umweltbundesamt am Wochenende in Frankfurt gemessen. Das ist Jahresrekord. Schon...

Mit Durchatmen bis zum Winter warten Der Sommer eilt immer neuen Höhepunkten zu, die Ozonwerte auch: 351 Mikrogramm Reizgas pro Kubikmeter Luft hat das Umweltbundesamt am Wochenende in Frankfurt gemessen. Das ist Jahresrekord. Schon vor Jahren wurde gewarnt, daß Werte über 120 Mikrogramm bei empfindlichen Menschen zu Gesundheitsschäden führen könnten.

Der hohe Wert schreckte die müden Politiker auf. Ihr öffentlicher Konsens ist: Die Ozonbelastung der BundesbürgerInnen kann so nicht weitergehen. Denn bei 360 Mikrogramm Ozon je Kubikmeter Luft empfehlen die Bürokraten allen Bürgerinnen und Bürgern dieser Republik, nichts Anstrengendes mehr im Freien zu unternehmen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO), aber auch der konservative Verein Deutscher Ingenieure (VDI) haben schon vor Jahren gewarnt, Werte über 120 Mikrogramm könnten für empfindliche Menschen zu Gesundheitsschäden führen.

Daß dem öffentlichen Konsens keine Taten folgen, hat mit der Größe der anstehenden Aufgabe zu tun. Hessens Umweltminister Joschka Fischer (Grüne) hat sie gestern umrissen: Er forderte eine „radikale Reduzierungsstrategie“ für den Autoverkehr, die Abkehr von der „übermotorisierten Gesellschaft“. Schließlich ist der Autoverkehr eindeutig der Hauptverursacher des Sommersmogs. Seine Kollegin Monika Griefahn aus Niedersachsen hatte die Dimension am Wochenende an einem Beispiel konkret gemacht: Alle Autos ohne Katalysator müssen bei hohen Ozonwerten in der Garage bleiben, forderte sie — das heißt praktisch den ganzen Sommer. Denn das Bundesgesundheitsamt stellte schon vor Jahren fest, daß die Ozonwerte „an fast allen schönen heißen Sommertagen“ zu hoch sind.

Weil räumlich und zeitlich begrenzte Fahrverbote nur wenig Abhilfe gegen den Sommersmog versprechen und sich keiner an die Autogesellschaft selbst herantraute, haben sich die Politiker in den vergangenen Jahren den Schwarzen Peter für den Sommersmog gegenseitig zugeschoben. Allein die Stadt zu sperren, helfe nicht, argumentierten die Stadtväter. Auch Bundesländer könnten das Problem nicht lösen, drückten sich die Landesväter. Bayerns Innenministerium teilte Greenpeace noch in diesem Mai mit, landesweite Fahrverbote bei zu hohen Ozonwerten verstießen gegen die Verhältnismäßigkeit der Mittel.

Doch der Sommer 1992 zeigt jetzt, was das Bundesgesundheitsamt den Politikern schon 1989 ins Stammbuch schrieb: „Die Ozonbelastung der bodennahen Luft muß aus gesundheitlichen Gründen dringend vermindert werden.“ Mit anderen Worten: Wenn der Verkehr nicht stehenbleibt, muß nach Recht und Gesetz anderes liegenbleiben. Zum Beispiel auf dem Bau: Arbeitsmediziner haben die maximale Ozon-Konzentration (MAK-Werte), der sich ein Arbeitnehmer aussetzen darf, auf 200 Mikrogramm Reizgas pro Kubikmeter Luft festgelegt. Nimmt man diesen Wert ernst, hätte auf vielen Baustellen der Republik in den vergangenen Tagen keine Kelle mehr geschwungen werden dürfen. Der DGB-Arbeitsschutzexperte Reinhold Konstanty forderte für seine Bauarbeiter, Lastwagenfahrer und Landarbeiter ozonfrei.

Und die Bundesregierung? Tut erst mal nichts, oder genauer gesagt fast nichts. Ein Tempolimit für den ganzen Sommer, wie es der Experte des Bundesgesundheitsamtes, Michael Wagner, als einfachste und wirksamste Sofortmaßnahme empfiehlt: Fehlanzeige. Die lang angekündigte Sommersmogverordnung: Die taz hat in ihrem Archiv immerhin den Entwurf für die „Verordnung zur Durchführung des Bundesimmissionsschutzgesetzes“ gefunden. Der Entwurf, der bei allzuviel giftigen Abgasen die Sperrung von Straßen und Stadtvierteln für den Verkehr erlauben soll, datiert vom 21.Januar dieses Jahres.

Doch dann blieb der Entwurf offenbar in den Beratungen zwischen den Bonner Ministerien hängen. Ende Mai verlautete noch mal kurz, daß das Papier noch existiere und vom Wirtschaftsministerium aufgehalten werde. Seitdem ist wieder Sendepause. Im Bundesumweltministerium war gestern kurz von einem möglichen Kabinettstermin im September die Rede, aber nichts Genaues wußte man nicht.

Die Ozonwerte selbst regelt der Entwurf zwar nicht, aber immerhin die Schadstoffe, die für eine hohe Ozonkonzentration verantwortlich sind: Stickoxide und Benzol (siehe Beitrag unten). Selbst wenn die Maßnahme nur in einer Stadt ergriffen würde, hatten Fachleute ausgerechnet, daß die Ozonkonzentration in Windrichtung um zehn Prozent abnehmen würde. In bestimmten eng begrenzten Räumen wie im Rheintal halten Experten auch größere Verbesserungen der Werte für möglich.

Auch wenn ein Tempolimit und eine neue Sommersmogverordnung in Kraft träten: Letzlich, so Hans- Joachim Nantke vom Umwelbundesamt (UBA), „wäre eine großflächige Stillegung des Verkehrs notwendig“. Und wie die funktionieren soll in der mobilen Gesellschaft, wissen die UBA-Wissenschaftler noch nicht. „Da suchen wir noch mit Computermodellen.“

Die Suche muß dringend beschleunigt werden. Zwar versucht das UBA aufgeschreckte Zeitgenossen mit dem Hinweis zu beruhigen, daß die Ozonspitzenwerte heute bei weitem nicht mehr so hoch lägen wie Mitte der siebziger und Anfang der achtziger Jahre. Gleichzeitig steigt aber die Hintergrundkonzentration weiter. Jedes Jahr nimmt der Ozongehalt in unserer Atemluft im Schnitt um ein bis drei Prozent zu. Die Dauerbelastung steigt also, und das bei einem Reizgas, das keine „Schwellenkonzentration“ (Nantke) kennt. Das Fehlen einer Schwellenkonzentration bedeutet, daß jede Konzentration wirksam ist. Der Hamburger Gesundheitssenat hat in einer neueren Studie daraus eine einfache Forderung abgeleitet: „In Anbetracht der zu befürchtenden chronischen Effekte wiederholter Ozonexpositionen ist dringend angezeigt, umgehend alle Maßnahmen zu ergreifen, um einen weiteren Anstieg des Ozons in der Atmosphäre zu verhindern. Darüber hinaus müssen die Behörden dafür sorgen, daß es bald zu einer nachhaltigen Reduzierung kommt.“ Einen krasseren Gegensatz zur politischen Realität kann man sich kaum vorstellen. Für den Rest des Sommers wird empfohlen: flach atmen und keinen Sport treiben. Hermann-Josef Tenhagen