Kunst am Fuß

■ Handgemachte Kostbarkeiten für Problemfüßler und Schönheitsbewußte

Holzschuhe

Vorher: Holzleisten für alle Fälle...

Pinocchio, der Holzknabe, hätte seine helle Freude am Schaufenster von Cäcilie Beckers „Schuhwerk“-Laden gehabt. In drei vollen Reihen hängen viele, viele hölzerne Leisten, Paßformen für Cäcilie Beckers handgefertigte Schuhe. Prima Ersatzteile für einen abenteuerliebenden Jungen, der schon einmal einen Holzfuß im Feuer verlor.

Die Leisten aber sind gekennzeichnet mit Namenschildchen. Sie gehören jeweils zu einem Paar Senk-, Spreitz- oder Plattfüße, zu Füßen mit „Überbein“, Übergrö

ßen oder besonders breitem „Vorfuß“, und — zu ganz durchschnittlichen Füßen von Menschen mit einem anspruchsvollen Schuhgeschmack. Cäcilie Becker ist nicht nur ausgebildete orthopädische Schuhmachermeisterin, sondern auch eine Künstlerin am Schuh, die eigene Entwürfe zu ganz eigenen Schuhen macht.

„Vielen meiner Kunden kommt es aber gar nicht so sehr auf ein besonderes Aussehen der Schuhe an. Hauptsache, sie wirken nicht orthopädisch. Die haben oft eine lange Leidensgeschichte hinter sich, weil ihnen nie, nie ein normaler Schuh paßt. Maßnehmen allein genügt dann nicht, Beratungen dauern manchmal bis zu zwei Stunden.“

Cäcilie Becker kann ihre fußgeschädigten KundInnen gut verstehen. Als Kind paßten ihre Füßchen nur in offene Sandalen oder weite Turnschuhe, weil sich durch Verletzungen kleine Geschwülste gebildet hatten, Überbeine. Später trug sie lange Zeit Birkenstocksandalen, aber das war ein Fehler, denn Birkenstöckler müssen eine Zehenanordnung im „griechischen Stil“ haben, eine regelmäßig abfallende Zehenreihe. Zehen dagegen, die sich dem „ägyptischen Stil“ fügen, die also eher eine gerade Linie bilden, stoßen bei Birkenstocksandalen ständig an den umlaufenden Rand und verkrunkeln mit der Zeit. „Ich habe schließlich einfach den Rand abgeschnitten“, sagt Cäcilie, „aber inzwischen mache ich mir meine Schuhe einfach selbst“.

Männer wollen meistens „Klischeeschuhe“, die üblichen soliden Anzugsschuhe, ein Paar wie das andere. Komfort ist alles, da dürfen sie einfach schwarz oder braun sein, bestenfalls mit eingestanztem Müsterchen. Und selbst modebewußte Frauen haben große Hemmschwellen, mit ihrem Schuhwerk Experimente zu machen.

Dabei wäre so viel möglich! Schuhe mit abgeplattet hochgezogenen Spitzen oder wie aus einem Guß, mit Reißverschluß über der Ferse. Harlekinschuhe oder solche, bei denen die Spitze wie abgebissen ist. „Pflanzenstecher“ mit spitzester Spitze, barocke

schwarze Schuhe

... Nachher: zum Beispiel dieses Modell, wie angegossen

Zweifarben-Halbschuh oder mittelalterliche Stulpenstiefel.

Obwohl Cäcilie Becker offen für Anregungen und neue Ideen ist, haben ihre Schuhe einen erkennbar eigegen Stil: klare, durchgezogene Linien, selten mehr als zwei Farben, Schuhe, die eine schlichte Würde haben. „Ich bin sehr neugierig. Pläne mache ich kaum. Der Schuh ensteht beim Machen, wenn ich mit dem Material herumspiele“. Ein Tabu gibt es allerdings: Pömps. „Die sind pervers. Über vier Zentimeter Absatzhöhe ist total ungesund. — Obwohl — neulich hab ich mir mal selbst welche gemacht, nur um es wirklich auszuprobieren...“

Sind die KundInnenwünsche abgeklärt, dann gehen die Maßangaben für den herzustellenden Schuh an eine Leistenfabrik. Über den fertigen Rohling zieht Cäcilie eine Plastikfolie, ein Probeschuh entsteht, an dem sie problemlos Änderungen vornehmen

kann. Dannach aber sind Änderungswünschen enge Grenzen gesetzt, „deshalb habe ich jedesmal Magengrummeln, wenn die Schuhe abgeholt werden, vor allem bei den Erstanfertigungen...“.

Die Schuhe von Cäcilie Becker nämlich sind eine finanzielle Investition. Ob mehr orthopädischen, ob mehr ästhetischen Bedürfnissen gehorchend, sie kosten zwischen 800 und 1.000 Mark. „Für mich ist das nicht viel. Ich verdiene erst an den Zweit- und Drittanfertigungen. Ohne die normalen Reparaturarbeiten - Besohlung, Absätze, Nähte — könnte ich nicht überleben. Mehr als zwei Paar Schuhe pro Monat sind nicht zu schaffen.“

Wer am „Schuhwerk“ in Fedelhören vorbeigeht, kann der Meisterin bei der Arbeit zusehen. Und seine ersten Spargroschen beiseite legen. Den Füßen zuliebe. Cornelia Kurth