VILLAGE VOICE
: Wenn das nicht die Lösung aller Probleme ist ...

■ »Sugar and Spice« von Happy Hour und »The Tunnel Session« von The Slags

Immer noch ist Hardcore die Musik für den modernen weißen Rebellen. Auch wenn der Hardcore bekanntermaßen mehr eine Vernunft- als Liebesehe mit dem Metal eingegangen ist, drückt sich politisch linkes Bewußtsein am lautstärksten immer noch vor kreischend sägenden Gitarren aus. All die Barbara Thalheims und Hannes Waders dieser Welt können hier ruhig vernachlässigt werden, weil sie nur den Bekehrten predigen, und ihre Aufgabe darin besteht, durch das Zupfen akustischer Gitarren die Gemeinde zu versammeln und zu stärken.

Der aus dem Punk hervorgegangene Hardcore hat zwar durchaus ähnliche bauchpinselnde Begleiterscheinungen, vor allem wenn diese Musik auf Ex-Besetzerkollektive trifft, dort wo Fetenbeschallung ursächlich wegen des Nährwerts des ideologischen Rüstzeugs ausgewählt wird. Doch die Nähe zum Metal hat ergeben, daß nicht nur einige Metalbands inzwischen politische Inhalte haben, sondern auch, daß viele ehemalige Punkbands nicht nur vom bunt gefärbten oder gedreadlockten Studienabbrecher gehört werden. Klientel sind inzwischen eben auch die bisher vorzugsweise allen Schattierungen des Metal verfallenen Arbeiterkinder, die nach den berühmten acht Stunden an der Werkbank sich bei lauter, schneller, möglichst dumpfer Musik abreagieren möchten. Denen ein politisches Bewußtsein vorzuturnen mag vielleicht keinen großen Sinn haben, aber zu versuchen, die überzeugte politische Lustlosigkeit zu durchbrechen, ist durchaus rührig.

Dem gibt sich der Berliner Hardcore-Underground in letzter Zeit verstärkter hin. Selbst die Szene-Instanz Jingo de Lunch, die bei ihrem Karriereweg zwar keine Soli-Party ausließen, aber textlich nicht mit klaren Aussagen glänzten, haben auf ihrer letzten LP das neu erstarkte Deutschtum zum Thema gemacht. Da wollten ihnen auch Happy Hour auf ihrer neuesten »Sugar and Spice« nicht nachstehen. Ebenso wie bei Jingo ist der erste Song der Platte programmatisch, damit es auch keiner übersieht, heißt er »Fascist«. Happy Hour sind vielleicht nicht die hellsten, aber mächtig stolz auf ihre Muskeln und die auf dem Trödel gekaufte Knarre. Also verfahren sie nach der in autonomen Kreisen eben nicht unbeliebten Methode: Reden ist Silber, Zurückhauen ist Gold. »You and your ‘Heil Hitler‚ shit makin'me worried and sick/ Think you're oh so tough til me and my homies beat you ta sick«, radebrecht es. Und: »Fascist, ya get down on your knees/ Suck my gun motherfucker, make me pleased.« Wenn das nicht die Lösung aller Probleme ist.

Es ist eine einfache Welt, außerhalb von Kreuzberg beginnt das Böse, innerhalb wimmelt es nur so von den homeboys, die ihren Kiez — wie das früher mal hieß — gegen Eindringlinge verteidigen müssen: »We was out late on the streets ya know/ Me and my homies, off to SO36 Show.« Das leicht eingeschränkte Weltbild der fünf Herren dreht sich um die Insignien des Kreuzberg-Kults: das SO36, der Stolz auf die Tätowierung und die dreckigen Haare: »With your dirty long hair you polute the air.« Verlieben kann sich so einer natürlich nur in die Bedienung im Imbiß, hinterher spritzt dann der Samen in ihre Haare. Wenn Frau Mann betrügt, läßt er nicht mit sich spaßen, nennt sie »bitch« und streicht ihr den versprochenen Pelzmantel und den Diamanten. Happy Hour haben — wie das schon bei den Vorvätern Sitte war — ihre Seele nicht nur an den Rock 'n' Roll verkauft, aus dem HipHop nicht nur bestimmte Termini wie homeboy« und den Waffenkult, sondern auch das chauvinistische Verhältnis zum anderen Geschlecht samt mittelalterlichem Frauenbild übernommen. Hier bricht sich textlich das autonome Macho-Gehabe Bahn, das bei den Festlichkeiten zum 1. Mai und anderen Gelegenheiten dafür verantwortlich war und ist, daß Frauen die Pflastersteine ausbuddeln dürfen, die dann die Männer anschließend werfen.

Musikalisch sind Happy Hour kein ganz so gewaltiges Ärgernis. Der Herr mit dem geschmackvollen Künstlernamen Bud Liquer singt kreischig, die Gitarren dröhnen versiert, das Schlagzeug stampft, und die Band kann nur eineinhalb Geschwindigkeiten. Rock 'n' Roll will never die, aber dieser hier braucht dringendst eine Infusion, denn er ist genauso wertkonservativ wie seine textlichen Inhalte.

Happy Hour: »Sugar and Spice«, We Bite Records 088, SPV

Wesentlich erbaulicher dagegen der Appetithappen der Westberliner Frauencombo The Slags für deren demnächst erscheinendes erstes reguläres Studioalbum. »The Tunnel Session« ist nach der ersten LP »Everybody Seems To Know«, die aus gesammelten Demo-Aufnahmen bestand, eine EP, die allerdings nicht in den regulären Handel kommt, sondern hauptsächlich zu Promo- Zwecken dienen soll. Wer trotzdem nicht darauf verzichten möchte, kann das potentielle Sammlerstück bei CTT/ Rude Productions, Sandweg 108, 6000 Frankfurt 1, bestellen.

Die vier Stücke auf »The Tunnel Session« sind noch nicht endabgemischte Versionen von in Bälde regulär erscheinenden Songs, die sich wahrscheinlich hauptsächlich deswegen eine rüde Lärmigkeit bewahrt haben, die auf dem Debüt vermißt wurde. Das offensichtlich zur Schau getragene Rockschlampen-Image der Slags kontrastrierte bisher mit der oberflächlichen Poppigkeit ihrer Aufnahmen. Auf der »Tunnel Session« erreichen sie in den besten Momenten die trocken stampfende Größe von L7, sogar der Pere-Ubu-Klassiker »Final Solution« wird zum metallen schimmernden Prunkstück. Trotzdem gelingt es ihnen aber immer noch nicht wie L7, jenseits von Geschlechtergräben einfach als Hardrockband wahrgenommen zu werden. Thomas Winkler