KOMMENTARE
: Faire Verfahren

■ EG unterminiert das Grundrecht auf Asyl

Die gegenwärtige Krise in der europäischen Asylpolitik ist größtenteils darauf zurückzuführen, daß die Regierungen nicht erkennen, wie einzigartig die Situation von Asylsuchenden ist, und daß sie ihnen gegenüber besondere Verpflichtungen haben. Die Regierungen behandeln Asylbewerber vorrangig, als seien sie Einwanderer oder Personen, die „illegal“ eingereist sind. Dies führt dazu, daß die zuständigen Polizei- und Einwanderungsbehörden mit komplizierten und zeitraubenden Verfahren überfrachtet sind. Während so bei der Antragsbearbeitung ein Rückstand entsteht und gleichzeitig weitere Asylsuchende eintreffen, geraten die Regierungen unter Druck, die Verfahren zu „straffen“ oder zu „beschleunigen“. Solche Manöver führen jedoch häufig sowohl zu einer Schwächung der Schutzgarantien als auch zu weiteren Rückständen.

Dies gilt auch für das jetzt in der EG diskutierte Prinzip der „sicheren Länder“ — Länder, in denen Flüchtlinge zum ersten Mal um Asyl gebeten haben oder aus denen sie ursprünglich stammen und von denen die EG-Regierungen glauben, sie seien sicher genug, um die Flüchtlinge dorthin zurückzuschicken. Damit hofft man, einen Teil der Asylbewerber von den normalen Verfahren ausschließen und somit die Rückstände verringern zu können. Es besteht jedoch die Gefahr, daß bei der Aufstellung dieser Listen außenpolitische Erwägungen oder andere Faktoren — beispielsweise die Zahl der Asylsuchenden aus einem bestimmten Land — eine Rolle spielen, die nicht notwendigerweise mit dem Hauptziel des Asylverfahrens vereinbar sind: der Zuerkennung des Flüchtlingsstatus und dem Schutz von Personen, denen Gefahr für Leib und Leben droht.

Entscheidend bei diesem Prinzip ist außerdem die „objektive“ Situation des als sicher eingestuften Landes; die Notwendigkeit einer individuellen Prüfung der „subjektiv begründeten Furcht“ tritt dabei in den Hintergrund. Die Frage, ob es überhaupt „sichere“ Länder gibt, fällt so unter den Tisch, obwohl im jährlichen Bericht von amnesty international 140 Länder aufgeführt sind, in denen Menschenrechtsverletzungen stattfinden. Zusätzlich soll das Prinzip eingeführt werden, daß eine Asylentscheidung eines EG-Landes für alle anderen gilt. Diese gemeinsame Politik wird das Risiko erhöhen, daß Asylsuchende in Länder zurückgeschickt werden, in denen sie mit ernsthaften Menschenrechtsverletzungen zu rechnen haben.

Zu einer Zeit, in der die EG-Regierungen zunehmend restriktive Maßnahmen ergreifen, sind faire Verfahren absolut notwendig. Bei der Harmonisierung ihrer Asylpolitik sollten sich die Regierungen deshalb von dem Grundsatz leiten lassen, das fundamentale Recht auf Asyl in Europa zu gewährleisten. Johannes van der Klaauw

Der Autor ist Vertreter von amnesty international bei der EG.