Mit Charly Versenker auf Schwertfischfang

Wenn der taz-Reporter eine Reise zu Wasser tut, erlebt er garantiert ein blaues Wunder: Die Sperrschiffe im Adriaraum halten mehr nach Flüchtlingsansammlungen Ausschau denn nach Waffenschiffen  ■ Von Bord Werner Raith

Offiziell soll mit den 14 zwischen dem Stiefelabsatz und Triest herumkurvenden Nato- und WEU-Kriegsschiffen, dazu dem US-amerikanischen Flugzeugträger Iwo Jima und dem Kreuzer Biddle sowie weiteren Helfern der 6. US-Flotte kontrolliert und blockiert werden — der Waffennachschub für Serbien und, mit minderer Heftigkeit, auch der für die anderen Bürgerkriegsparteien. Da die Blockade aber ausschließlich „friedlich“ verlaufen soll, das heißt mit höflicher Anfrage und Sichbescheiden bei negativer Auskunft seitens der befragten Schiffe, kam zumindest in Italien schon früh der Verdacht auf, der martialisch-pazifistische Aufmarsch diene doch anderen als den angegebenen Zwecken.

Das aber wies das Marine-Oberkommando ebenso harsch zurück wie die Regierung. Beweis: Man solle nur „mal auf eines der Blockadeschiffe gehen“, da sehe man, daß alles regulär und den Vereinbarungen von Nato und WEU entsprechend ablaufe.

Doch wie es der Teufel so will: Der erste beantragte Zugang scheiterte wegen terminlicher Probleme. Ein zweiter Anlauf ging daneben, weil der Helikopter angeblich wegen weit draußen wehender Winde — an der Küste war kein Hauch zu spüren — nicht hatte starten können. Beim dritten Mal hatte dann die Mafia auf Sizilien wieder hochrangige Staatsrepräsentanten umgebracht, so daß die Flugveranstalter davon ausgingen, die Schreiberlinge wollten lieber dorthin. Auf einen vierten Versuch wollten sich die meisten schon nicht mehr einlassen.

So kam die Idee auf, die Sache von der anderen Seite her anzusehen — von einem Schiff aus, das Verdacht weckt. Wir dümpelten also mit einem alten Seelenverkäufer los, sein am Heck angebrachter Name fast unleserlich. Der Golf von Otranto schien die günstigste Stelle, den Blockierern zu begegnen. Kapitän Giancarlo, genannt „Charly Affonda“ (Charly Versenker), begrüßte uns mit heiterem und verschmitztem Blinzeln. „Ihr werdet eure blauen Wunder erleben“, sagt er beim Ablegen.

Es dauerte freilich fast zwei Tage, bis sich etwas rührte; da sind wir, nach einigen Fischfangaktionen, circa 70 km von der montenegrinischen Küste entfernt („von hier aus wären wir innerhalb einer Nacht leicht vor Ort und wieder zurück“, sagt Charly). Am Spätnachmittag zieht ein amerikanischer „Intruder“- Bomber über uns Richtung Osten, legt eine Runde ein, fliegt wieder fort; zwei Stunden danach rumpelt ein deutscher Aufklärungsbrummer vom Typ Breguet über uns hinweg, kommt dann tiefer, die Männer in der Pilotenkabine und am Ausguck sind zu erkennen.

Über Funk wird der Kapitän höflich um Aufklärung über seine Ladung gebeten, er sagt, er habe einige Schwertfische gefangen und wolle diese zu einem Schiff bringen, das heimfährt, während er noch länger herumkreuzen wolle. Nachfragen gibt es keine, obwohl wir auf Deck einige Rohre und Bänke so mit Planen zugedeckt haben, daß die Umrisse auch auf Kanonen schließen lassen könnten. „Seht ihr“, grinst Charly Affonda, „so ist das. Aber nun wartet auf morgen früh. Das Interessante kommt erst auf dem Rückweg.“

Er behält recht. Am dritten Tag wird es plötzlich lebendig. Wir dampfen mit voller Kraft Richtung Heimathafen. Kurz hintereinander fliegt wieder eine Breguet über uns hinweg — diesmal eine italienische, dann kommt ein Hubschrauber, schließlich werden wir barsch nicht nur zur Erklärung unserer Fracht angehalten, sondern auch mit dem Kommando „Alle Mann auf Deck“ gerempelt. Da ist freilich nicht viel zu machen: Außer einem verschlafenen Fischer haben wir nichts hochzuholen. Der Helikopter der italienischen Marine besteht darauf: Tief unten müsse noch mehr sein, das Schiff liege zu tief, wenn die Ladung doch schon gelöscht sei. Wir können ihm nicht weiterhelfen.

So nimmt die Sache den Lauf, den uns Charly vorhergesagt hat: „Wenn du auf der Fahrt Richtung Jugoslawien Mörser und Raketen sichtbar auf Deck liegen hast und bei der Kontrolle sagst, das seien extravagante Liegestühle, nicken die, bedanken sich und lassen dich weiterfahren. In umgekehrter Richtung, da sind sie viel neugieriger.“

Eine halbe Stunde danach haben wir persönlichen Besuch: Ein Schnellboot der italienischen Marine braust heran. Alle Mann an Deck — das Kommando wiederholt sich. Aber wir haben noch immer nicht mehr Leute an Bord. Der Kapitän läßt die Matrosen zur Kontrolle an Bord kommen. Sie klettern hinunter, kommen wieder herauf: „Alles in Ordnung.“ Die Rohre auf Deck erregen auch bei ihnen keine Aufmerksamkeit. „Sie müssen entschuldigen“, sagt der die Aktion überwachende Offizier, als er wieder zurückklettert, „aber Sie glauben ja gar nicht, auf welchen Wegen die Leute ins Land wollen.“

Charly grinst. „Es wird nicht das letzte Mal sein, bis wir wieder zurück sind.“ Seiner Ansicht nach hat „die ganze Blockade überhaupt keinen militärischen Sinn, wohl aber ist es das erste großangelegte Manöver zur Kontrolle eventueller Flüchtlingsströme.

Ganz unrecht hat er damit sicher nicht. Tatsache ist jedenfalls, daß seit Beginn der Blockade nicht mehr ein einziges Schiff mit Flüchtlingen nach Italien durchgekommen ist. Mehr als dreißig „Boat-People“-Skipper wurden seit Mitte Juli bereits auf der jugoslawischen Seite abgefangen — vor allem Schiffe mit Albanern an Bord, die noch immer nicht glauben können, daß der italienische Staatsrundfunk RAI zwar jeden Sonntag live in ihren Küstenstädten Veranstaltungen durchführt und Musik- Shows organisiert, bei denen ungehindert die Sehnsucht nach westlichem Leben propagiert wird, dann aber jede Annäherung an diesen Westen mit unnachsichtigem Rücktransport geahndet wird.

Erstaunlich, wie wenig sich Italiens Presse ihrerseits um die wahren Tätigkeiten ihrer Marine im angeblichen Waffen-Blockadeeinsatz kümmert. Lediglich il manifesto hat einmal eine scharfe Stellungnahme des „Comitato per la pace“, des Komitees für den Frieden, gegen die Adria-Besetzung abgedruckt. Ansonsten aber hat sich die Presse diesbezüglich ein einziges großes Thema ausgeguckt — die deutsche Debatte um den Einsatz des Kreuzers „Bayern“ vor Montenegro.