DOKUMENTATION
: SOS Rutschgefahr!

■ Memorandum aus der Friedensbewegung an verantwortungsbewußte Politikerinnen, Medienleute, Soldaten, Friedenforscherinnen Für ein Moratorium bei Bundeswehr-out-of-area-Entscheidungen!

Die Diskussion um den Adria- Einsatz hat die politischen Wellen hochschlagen lassen. Sollen deutsche Soldaten in internationalen Krisenherden eingesetzt werden? Die Bundesregierung greift dabei der öffentlichen Diskussion vor. Ohne Änderung des Grundgesetzes werden Bundeswehr-Soldaten in Out-of-area-Einsätze geschickt, um damit eine baldige Gewöhnung an das neue Aufgabenfeld „unserer Truppe“ und die Militarisierung deutscher Außenpolitik zu schaffen. Die Hardthöhe hat hinter dem Rücken der Öffentlichkeit damit begonnen, die Bundeswehr für Einsätze in alle Welt umzurüsten. Die Bundeswehr ist auf die schiefe Bahn in kriegerische Eskalationspolitik geraten.

So nicht! Die Pläne der Minister Kinkel und Rühe, die Bundeswehr demnächst als „Wüstenstürmer“ einzusetzen, müssen öffentlich diskutiert werden. Wir fordern deshalb ein Moratorium aller Out-of-area- Entscheidungen und -vorbereitungen und eine breite öffentliche Debatte.

Der Weg in die Politik militärischer Interventionen wird mit „Blauhelmen“ und „humanitären Einsätzen“ gepflastert

Minister Rühe und Generalinspekteur Naumann haben einen klaren Fahrplan genannt: ab sofort alle Arten von sogenannten „Blauhelmen“, spätestens ab etwa 1995 uneingeschränkte deutsche Wüstenstürmer. Große Teile der Öffentlichkeit wie die SPD favorisieren die „Blauhelm-Lösung“. Die Bedenken dagegen sind bisher nicht diskutiert worden. Rein deeskalierende UNO- „Blauhelme“ („peace-keeping“) können zur Überwachung eines Waffenstillstandes sehr hilfreich sein. Ihre deeskalierende Funktion ist aber dadurch gefährdet, daß sich Großmächte als „Weltpolizei“ einmischen. Dies heißt, den Bock zum Gärtner machen.

Deutsche „Blauhelme“ verstärken den gefährlichen Trend zur Eskalationsstrategie der „Weltpolizei“ der mächtigen Staaten. Wer also wirklich die Erhaltung deeskalierender UNO-„Blauhelme“ wünscht, muß zumindest die Großmächte heraushalten.

Und: „Friedenserhaltende Blauhelme“, die mit völkerrechtlicher Verbindlichkeit ausschließlich deeskalierend tätig werden können, sind bisher reiner Mythos. Zum Beispiel die UNO-„Blauhelme“ im Kongokrieg 1960-65 erhielten vom Sicherheitsrat nach einer ersten Phase der Deeskalation den Auftrag zur offensiven „friedenserzwingenden“ Eskalation. In den bereits jetzt absehbaren vielen künftigen Kriegen in aller Welt wird es wiederum solche Zwei-Stufen-„Blauhelme“ geben (zum Beispiel in Kambodscha). Wenn deutsche „Blauhelme“ nach dem Willen der SPD in die erste Stufe einsteigen, ist es ziemlich undenkbar, daß sie beim Umschalten zur offensiven Stufe als einzige nach Hause abziehen. Wer also A sagt („Blauhelme“), wird auch B sagen (offensive „Kongo-Blauhelme“) und praktisch bei C enden („Wüstenstürmer“-Interventionen).

Die Skischanze hinunter, ohne zu springen?

Die „Blauhelm“-Formel der SPD gleicht dem Versprechen eines Skispringers, er werde „nur“ die Schanze hinunterrutschen, aber unten dann nicht springen. Für den „Blauhelme“-Antrag der SPD im Bundestag gibt es keine Zweidrittelmehrheit. Der nächste faule Kompromiß ist vorprogrammiert. Dies weiß die Bundesregierung. So wird die Debatte um Blauhelme zum Türöffner für Bundeswehr-Einsätze aller Art. Immer mehr SPD-Politiker treten für deutsche Wüstenstürmer ein und setzen sich offen über den Bremer Parteitagsbeschluß hinweg.

Schon vor dem Bremer Parteitag 91 warnten Gruppen der Friedensbewegung: „Gegen Schnellschüsse, wo es bitterernst ums Schießen geht!“ Die knappe Mehrheit des SPD-Parteitags wählte den „Schnellschuß“ — und steckt nun bis zum Hals in dessen Konsequenzen. Das Wahlvolk hat ein Recht, die Risiken solcher Entscheidungen zu kennen und zu diskutieren. Sollten deutsche Soldaten erstmals nach 1945 wieder in Schießkriege in aller Welt hineinschlittern, ohne daß die sachlichen, äußerst schwerwiegenden Gegenargumente in einer breiten öffentlichen Debatte erwogen worden sind?

Es gibt Alternativen!

UN, KSZE und andere geeignete Institutionen können in Stand gesetzt werden, Krisen frühzeitig zu erkennen, Kriege präventiv zu verhindern und Konflikte nichtmilitärisch zu lösen. Die reichen Länder können unter anderem durch den Stopp aller Rüstungsexporte und gerechte Wirtschaftsbeziehungen künftigen Kriegen vorbeugen helfen. Statt durch Militär kann Deutschland seiner weltweiten Verantwortung unter anderem durch große Anstrengungen bei humanitären Maßnahmen und — ziviler — Katastrophenhilfe gerecht werden.

Für eine bessere Fähigkeit zur Krisenintervention müssen Reformen bei der UNO angestrengt werden, zum Beispiel durch Abschaffung der Vetorechte im Sicherheitsrat (um die Instrumentalisierung der UNO für die Eskalationsstrategie der reichen Staaten abzustellen), demokratische Wahl der Mitglieder des Sicherheitsrats nach Kriterien wie Regionalität, Turnus, Neutralität, Friedenskonzept; Ausdehnung der völkerrechtlichen Souveränität der UNO vom Sicherheitsrat auch auf die Vollversammlung; Bildung eines ständigen strukturell eskalationsunfähigen UNO-„Blauhelm“-Korps, in das Individuen aller Länder (also auch Deutsche) individuell — nach Ableistung einer gewaltfreien Grundausbildung — unter Ausscheiden aus nationalen Befehlsstrukturen eintreten können; Bildung ständiger internationaler UNO-Vermittlungsteams (an denen also ebenfalls Deutsche teilnehmen können) u.v.m.

Wir brauchen ein Moratorium gegen „Schnellschüsse“ bis zur nächsten Bundestagswahl!

Auf eines müßten sich doch alle einigen können: Die seit Jahrzehnten gültige deutsche Verfassungswirklichkeit (und der Verfassungsbuchstabe) darf nicht per „Schnellschuß“ ins Gegenteil verkehrt werden. Jetzt müssen endlich alle Argumente auf den Tisch der Öffentlichkeit! Erst die Argumente, erst eine Beteiligung der Bevölkerung an der Debatte, dann erst Entscheidungen über Weichenstellungen zur neuen Außen- und Sicherheitspolitik. Wir rufen deshalb Abgeordnete, PolitikerInnen, Medienleute, Soldaten, FriedensforscherInnen auf, sich für ein Moratorium bei Bundeswehr-out-of-area-Entscheidungen und den Stopp der entsprechenden Umrüstungen der Bundeswehr bis zur nächsten Bundestagswahl einzusetzen.

Arbeitsgruppe gegen out-of-area im Netzwerk Friedenskooperative; Arbeitskreis Verkehr und Umwelt e.V. (UMKEHR); BUKO-Kampagne „Stoppt den Rüstungsexport“, Bremen; Bund für Soziale Verteidigung (BSV); Die Grünen; Diskurswerkstatt Bochum; Freundeskreis EIRENE International e.V.; Fußgängerschutzverein FUSS e.V.; Initiative Kirche von unten (IKvu); Pax Christi; Uli Beer-Bercher (Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, DFG-VK Baden-Württemberg); Andreas Buro (Komitee für Grundrechte und Demokratie); Ulrich Frey (Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden, ADGF); Gerd Greune; Mechtild Jansen (Publizistin); Konrad Lübbert (Pastor, Vorsitzender des Versöhnungsbundes); Gina Meyer-Düllmann (Vorstandsmitglied Komitee für Grundrechte und Demokratie); Kerstin Müller (Landesvorstandssprecherin Die Grünen NRW); Horst-Eberhard Richter (Psychoanalytiker, Vorstand IPPNW); Beate Roggenbock (Ohne Rüstung Leben, ORL); Elmar Schmähling, Flottillenadmiral a.D.; Siggi Schönfeld (Beisitzer Landesvorstand Die Grünen NRW); Velten Seifert (Geschäftsführer Die Grünen NRW); Barbara Steffens (Politische Geschäftsführerin Die Grünen NRW)