Stasi wollte unerwünschte Ausländer internieren

Dokumente der Staatssicherheit enthüllen detaillierte Einsatz- und Personalplanung für die Inhaftierung im Verteidigungsfall/ Zielsetzung: „Feindlich-negative Pläne, Hetze, Diversions- und Sabotagehandlungen“ von Ausländern in der DDR zu verhindern  ■ Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) — Keiner der rund 600 Studenten, die heute in dem ehemaligen Arbeiterwohnheim im Norden Berlins ein vergleichsweise billiges Zimmer gefunden haben, ahnt, welche Pläne zu DDR-Zeiten Staatssicherheit und Volkspolizei mit dem knapp fünf Hektar großen Gelände verfolgten. Im Krisen- und Verteidigungsfall sollte das Wohnheim am Blankenburger Pflasterweg zum Internierungslager für rund tausend dem Regime suspekte Ausländer umfunktioniert werden. Das geht aus den Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) hervor, die vor kurzem in der Gauck-Behörde gefunden wurden.

Die Geheime Kommandosache trug das Aktenzeichen F/1 267 592 und den Titel „Plan der Überführung in den Verteidigungszustand — Bezirk Berlin“. Sechs Monate vor der Wende wurde das Papier am 5. April 1989 vom Vorsitzenden der Bezirkseinsatzleitung in Berlin, dem SED- Funktionär Günter Schabowski, abgezeichnet. Als Maßnahme mit der Nummer 44 wird darin die „Herstellung der Aufnahmebereitschaft des Internierungslagers, Wohnheim Blankenburg“ aufgeführt. Position 45 weist die Einrichtung von „Internierungs-Sammelstellen in den Stadtbezirken“ aus.

Die Absicht, unliebsame Ausländer im Konfliktfall umstandlos in einem Lager zu internieren, geht bereits auf das Jahr 1982 zurück. Damals erarbeitete Stasi-Leutnant Flöter für die Abteilung VII der Bezirksverwaltung eine Konzeption, mit der die „politisch-operative Abwehrarbeit im Internierungslager Blankenburg“ gewährleistet werden sollte. Klassifiziert war dieses Dokument zu DDR-Zeiten als geheime Verschlußsache. Der Leiter der Abteilung, Oberstleutnant Friedrich, bestätigte darin die „Hauptaufgaben“ des geplanten Internierungslagers: „Aufklärung und Verhinderung jeglicher feindlich-negativer Pläne, besonders solcher feindlicher Handlungen, wie Spionage, staatsfeindliche Gruppenbildung, staatsfeindliche Hetze, Provokationen, Ausbrüche, Geiselnahmen, Diversions- und Sabotagehandlungen“.

Die „maximale Kapazität“ des Lagers ermittelten die Stasi-Offiziere mit 1.200 Plätzen. Penibel registrierten Mielkes Mannen: „Die einzelnen Blöcke und Etagen sind unabhängig voneinander mit Sanitäreinrichtungen versehen, so daß eine Unterbringung sowohl in Familienverbänden als auch getrennt nach Geschlechtern erfolgen kann.“

Auch die Personalpläne waren fertig: Mit Oberstleutnant Günter Neidhard sollte ein Mitarbeiter der Berliner Strafvollzugsbehörde Leiter des Internierungslagers werden. Als „Stellverteter Operativ“ war Oberleutnant Bernd Dornbruch vorgesehen. Preußisch gründlich war auch eine Leiterin für die Geschäftsstelle des Lagers bestimmt worden. Vom Lagerposten bis zum Lagerleiter umfaßte die Personalplanung 76 Mitarbeiter.

30 Stunden nach der Auslösung der Mobilmachung sollten „die Einsatzbereitschaft der Kräfte und Mittel des Internierungslagers“ gewährleistet sein. Als Planziel galt: 24 Stunden nach „Erteilung Befehl zur Internierung ausländischer Bürger“ werden die ersten Internierten aus den Sammelstellen in den verschiedenen Stadtbezirken nach Blankenburg überstellt — vier Tage nach der Stunde „X“ muß die Aktion abgeschlossen zu sein.

Die Internierungspläne galten bis zur Wende. Alljährlich wurden sie im Januar bestätigt. Im MfS unterzeichnete der Abteilungsleiter zuletzt am 10.1. 89 die Geheime Verschlußsache mit dem Kürzel „GVZ-0005“ — am gleichen Tag erneuerte auch das Berliner Präsidium der Volkspolizei den Beschluß zur Lagererrichtung, der in den Akten der Volkspolizei unter dem Verschlußzeichen „B 044404“ geführt wurde. Bestätigt wurden damit auch Pläne für insgesamt neun Sammelstellen in den Stadtbezirken, wo der Weg in die Internierung beginnen sollte. Im Bezirk Berlin-Mitte sollten 300 Ausländer festgenommen und bis zum Weitertransport im traditionsreichen „Clärchens Ballhaus“ festgesetzt werden. Im Kreispionierhaus des Stadtbezirkes Treptow hätte man weitere 200 „unerwünschte“ Ausländer einsperren können, in Friedrichshain sollte das Filmtheater „Kosmos“ als Sammelstelle zweckentfremdet werden.

Während die Staatsfeinde den einzelnen Sammelstellen noch zugeführt werden, rüstet der Arbeitsstab am Blankenburger Pflasterweg das Arbeiterwohnheim „etappenweise“ mit Hochdruck zum Internierungslager um. Von der Übernahme der Dienstzimmer in den einzelnen Blöcken bis hin zur „Bildung der Partei- und FDJ-Organisation der Kräfte der Volkspolizei im Internierungslager“ — alles wurde minutiös geplant.

Als erstes galt es der Planung zufolge, eine funktionierende Verwaltung aus dem Boden zu stampfen. Block 1 und 2 des Arbeiterwohnheimes mußten 24 Stunden nach Befehlserteilung für die Internierung zur Verfügung stehen, die übrigen drei Tage später.

Die Lagerinsassen sollten einer „Interniertenverwaltungsorganisation“ unterworfen werden. Einmal eingesperrt, sollten die Ausländer einen „Interniertenausschuß“ wählen. Stasi-erwünscht war eine strenge Lagerhierarchie, an deren Spitze ein Lagerverantwortlicher mit Stellvertreter, mehrere „Sektionsverantwortliche“ und ihnen untergeordneten „Blockverantwortliche“ stehen sollten. Zudem — auf jedem Stockwerk der dreigeschossigen Plattenbauten noch je ein „Etagenverantwortlicher“. Mit dieser Hierarchie sollte der „maximale Einsatz von Internierten zu Sicherstellungs- und anderen Arbeitsleistungen innerhalb des Internierungslager“ gewährleistet werden.

Entsprechend den Planungen, die aller Wahrscheinlichkeit nach auch in den anderen Bezirken der DDR durchgeführt wurden, wäre das Lager unmittelbar dem Polizeipräsidium in Berlin unterstellt worden. Mit einer Ausnahme, der sogenannten „Operativgruppe“. Nach der „Entfaltung des Internierungslagers“ wäre diese direkt an die Befehlsstrukturen der Abteilung VII der Stasi-Bezirksverwaltung Berlin angegliedert worden. Die „funktionalen Pflichten“ dieser Gruppe sahen unter anderem vor: „Erfassung und Filtrierung der Ausländer im Internierungslager und Fortsetzung der Klärung der Frage Wer ist wer? unter den Internierten“. Das Wer ist wer? war eine Domäne des Staatssicherheitsdienstes und die ermittelten Auskünfte eine tragenden Erkenntnissäule in Mielkes Spitzelimperium. Die Operativgruppe gedachte dabei auch auf bewährte Stasi-Mittel zurückzugreifen: die „Schaffung von inoffiziellen Kontakten unter den Internierten und Ausbau eines wirksamen IM-Systems“. Unter den Stasi-Unterlagen befand sich bereits ein Vordruck zur Auflistung der Inoffiziellen Mitarbeiter unter den Lagerinsassen.