Heute im Kabinett: die Gesundheitsreform
: Seehofer pokert für die Gesunden

■ Wenn die Regierung heute dem Zahlenwerk ihres Gesundheitsministers zustimmt, werden künftig Kranke, Ärzte, Krankenhäuser und Pharmakonzerne zur Kasse gebeten...

Seehofer pokert für die Gesunden Wenn die Regierung heute dem Zahlenwerk ihres Gesundheitsministers zustimmt, werden künftig Kranke, Ärzte, Krankenhäuser und Pharmakonzerne zur Kasse gebeten, um die Solidargemeinschaft der Gesunden, die Krankenkassen, zu schonen.

Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) hat die Karten für den Poker um die anstehende Gesundheitsreform gut gemischt. Die MinisterkollegInnen sollen heute nur noch seine Strategie für das große Spiel absegnen. Das Spiel soll den Krankenkassen im Jahr 11,4 Milliarden Mark Kosten sparen und damit eine Beitragserhöhung für die Krankenversicherung abwenden. Es soll Kranke, Ärzte, Pharmakonzerne und Krankenhäuser zugunsten der entlasteten Solidargemeinschaft der Gesunden zur Kasse bitten.

Seehofer hat für die kommenden Auseinandersetzungen mit Ärzten, der Pharmalobby und der SPD gut vorgebaut. Der ausgebuffte Politiker hat sein Reformpaket in zwei Teile gesplittet, die Novelle des „V. Buches Sozialgesetzbuch“ und ein „Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenkasse“. Die Novelle soll die Kranken zur Kasse bitten und so Arbeitgebern und Arbeitnehmern höhere Beiträge ersparen. Das Strukturgesetz soll die Anbieter im Gesundheitswesen wie Ärzte, Krankenhäuser und Pharmakonzerne an die Kandare nehmen und so bei den inzwischen auf 250 Milliarden Mark gestiegenen Gesundheitskosten einsparen helfen.

Die Aufsplittung war parlamentarisch ein geschickter Zug: Durch dieses Manöver hat der Gesundheitsminister dafür gesorgt, daß die „sozialpolitischen Greueltaten“ (SPD), die steigende Selbstbeteiligung von Kranken über ihre Versicherungsbeiträge hinaus, im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig sind. Die SPD in Bund und Ländern mag gegen die auf bis zu 10 Mark steigende Selbstbeteiligung bei Medikamenten oder über die 11 Mark täglich für Klinikpatienten wettern. Sie kann bei den herrschenden Mehrheitsverhältnissen nichts dagegen tun. Seehofer braucht für die Umverteilung von über drei Milliarden Mark von den Kranken an Gesunde und Unternehmer die Stimmen der SPD-Länder im Bundesrat nicht. Das Strukturgesetz, mit dem die Kosten der Krankenhäuser genauso gesteuert werden sollen wie die Zahl der Kassenärzte, ist dagegen im Bundesrat zustimmungspflichtig. „Die Gesundheitsversorgung ist immer Ländersache gewesen“, so Seehofers Sprecher Harmut Schlegel. Doch dieser Teil des Reformpakets ist den Gesundheitspolitikern in der SPD durchaus sympatisch. Schon bei dem fehlgeschlagenen Reformversuch Norbert Blüms 1988 hatten die Sozialdemokraten hier deutliche Schritte verlangt. Blüm hatte letztlich nur bei den Patienten kassiert und war an die Kassen der Ärzte und Krankenhäuser nicht herangekommen.

Der Gesundheitsexperte und SPD-Bundestagsabgeordnete Martin Pfaff bekennt ganz offen: „Seehofer argumentiert zu recht, er wolle damit nichts anderes, als was wir vor drei oder vier Jahren gefordert haben.“ Wenn das Reformpaket nicht gesplittet wäre, hätte Seehofer im Bundesrat nicht mit einer Zustimmung der Sozialdemokraten rechnen können. Aber jetzt: „Eine Politik ist dann zu unterstützen, wenn sie das Richtige tut“, legt Pfaff sich fest. In den Gesprächen mit Seehofer werde man zwar auf die soziale Unausgewogenheit des Gesetzespakets zu sprechen kommen, erklärte der SPD-Abgeordnete der taz. Wirklich debattiert werde aber nur um die Reform bei den Anbietern. „Seehofer muß allein mit den sozialen Todsünden 1994 vor die Wählerinnen und Wähler treten und sie verantworten.“

SPD: Ansatz „im Prinzip richtig“

Rund acht Milliarden Mark sollen nach Seehofers Zahlenwerk von Ärzten, Krankenhäusern und Pharmakonzernen eingespart werden. Den größten Batzen mit 2,5 Milliarden Mark müssen die Krankenhäuser beisteuern. Die Kliniken, die bisher einfach ihre Kosten auf die Zahl der Patienten umgelegt hatten, sollen künftig lernen, mit einem vorher festgelegten Budget auszukommen. Pfaff befürchtet nur, daß die Umstellung den Kliniken nicht so schnell gelingen wird, wie das nach Seehofers Plänen notwendig wäre. „Der Gesetzentwurf zeigt die Mechanik nicht auf, wie das Einsparen funktionieren soll.“ Vermutlich würden die Betreiber der Krankenhäuser, also Kirchen und Kommunen, deftige Defizite schreiben, bis sich die Strukturen verändern. „Aber der Ansatz ist im Prinzip richtig“, so der SPD-Mann.

Einigkeit herrscht zwischen den Sozialdemokraten und dem CSU- Gesundheitsminister offenbar auch über die Begrenzung der Zahl der Kassenärzte. Während die Bevölkerung seit 1980 kaum gewachsen ist, stieg die Zahl der Ärzte um glatt ein Drittel, und die Honorare verdoppelten sich fast.

Ab 1999 sollen nun alle Ärzte über 65 Jahre in den Zwangsruhestand versetzt werden. Außerdem soll die Zahl der neuen Kassenärzte streng begrenzt werden. Selbst FDP-Chef Otto Graf Lambsdorff hat schon angekündigt, daß er sich Kontingente für Kassenärzte durchaus vorstellen kann. Schließlich, so der Jurist Lambsdorff, dürfe ja auch nicht jeder Anwalt Notar werden.

Erhoffen sich die Reformbefürworter über die Steuerung der Ärztezahl langfristige Einsparungen, sollen alle Ärzte zusammen kurzfristig mit der gleichen Budgetidee an Kostendisziplin gewöhnt werden, die auch für die Krankenhäuser geplant ist. Weil die über 200.000 Kassenärzte zuviel behandeln und verschreiben, bekommen die Krankenkassen mit dem Gesetzentwurf das Recht, künftig Arztkosten, die über das zuvor festgelegte Budget hinausgehen, zurückzuverlangen. „Wie die Ärzte das zurückzahlen, ob einzeln oder über einen Solidarbeitrag, ist gleich“, so Seehofers Sprecher Schlegel. Hermann-Josef Tenhagen