Alttestamentarisch

■ Kaurismäkis Erstling im Moviemento

Ich bin gekommen, um dich zu töten«, sagt ein Mann zu seinem Opfer. »Warum?« fragt der zurück. »Das wirst du nie wissen.« Eine Geschichte wie aus dem Alten Testament, der Erzengel Gabriel ist zurückgekehrt. Aki Kaurismäki verliert sich nicht in Spekulationen, kommt schnell zur Sache. Das macht die Story spannend, die in Wirklichkeit Dostojewski folgt. »Crime and Punishment/Schuld und Sühne« war 1983 Kaurismäkis erster selbständig geschriebener und produzierter Film in Finnland, eine »Hommage an die Zeit, als es noch genügte, einen Mord im Film zu begehen«.

Der Mord scheint die Rache für erlittenes Unglück zu sein, in Wirklichkeit geschieht er aus Verachtung den anderen und sich selbst gegenüber. Antti Rahikainen (Markku Toikka) ist ein Mensch, der glaubt, Rache käme ohne Gefühle aus. Und tatsächlich, Gefühle hat er schon lange nicht mehr. Auch nicht für das Mädchen, das zufällig Zeugin seiner Tat wird — und ihn nicht verrät. Rahikainen hat Jura studiert, vielleicht auch einmal eine Frau geliebt. Jetzt arbeitet er in einer automatisierten Großschlachterei. Das Blut, sein Geruch, die besondere Konsistenz, ist dort etwas Alltägliches.

Rahikainen wohnt zur Untermiete in einer schäbigen Pension. Aber da ist nicht nur die Einsamkeit, die entstellt. Rahikainen will auch ein Prinzip töten, wenn er den Industriellen erschießt, der am Abend eine Party zu seinem 50. Geburtstag geben will. Heraus kommt aber nur ein barbarischer Akt. Der Schlächter ist nicht besser als das Schwein, das er schlachtet. Aus dem Paradies sind nun einmal alle gleichermaßen vertrieben. Rahikainen, Gefangener seiner verborgenen Gefühle, stellt sich später, wie es der Inspektor vorausgesagt hat. Hoffnung auf Erlösung schlägt er aus.

Kaurismäki erzählt die Geschichte in lakonischen Bildern. Timo Salminens Kamera entdeckt Bilder für Helsinki, die alles ganz vertraut machen, so als wäre man auch schon da gewesen. Die Figuren kommen ohne Selbstmitleid aus, große Gesten erspart Kaurismäki ihnen wie den Zuschauern. Selbst der Industrielle fügt sich, so scheint es, ins Unvermeidliche, hat am Ende nur darauf gewartet, daß es geschieht — »Crime and Punishment«.

»Meine Filme gefallen mir nicht«, bekannte Aki Kaurismäki in einem Interview, das er zwei italienischen Journalisten 1990 während der Berlinale gab. »Mir geht es in erster Linie darum, Geschichten zu erzählen, nicht irgend etwas zu dokumentieren, aber natürlich liegt hinter meinen Geschichten immer Finnland.«

Und wie immer, wenn einer von etwas erzählt, handelt die Geschichte im Grunde von einem verlorenen Land. Yvonne Rehhahn

»Crime and Punishment«, von Aki Kaurismäki, OmU, Moviemento 2