Love, Peace and Drugs

■ Ein Filmfestival zum 23. Geburtstag von Woodstock im Babylon Mitte

Für das »Berliner Filmkunsthaus Babylon«, wie das edel verfallene Kino in Mitte offiziell heißt, ist auch ein dreiundzwanzigjähriges ein des Feierns würdiges Ereignis. Vom 15. bis 17. August 1969 fand auf einem umzäunten Feld im Staate New York das legendärste Festival der Rockgeschichte statt. Die in der Nähe liegende Musikerkolonie Woodstock gab dem Massenereignis den Namen, und 400.000 Menschen machten es zum Höhepunkt des »Summer of Love«. Nur vier Monate später fand der Sommer der Liebe auf der Autorennbahn Altamont ein blutiges Ende, als bei einem unter chaotischen Umständen stattfindenden Free Concert der Rolling Stones die als Ordner verpflichteten Hell's Angels den 18jährigen Schwarzen Meredith Hunter erstachen.

Diese beiden Eckpunkte des Hippie-Daseins spielen auch eine zentrale Rolle im Programm, das das Babylon zum 23. Geburtstag von Woodstock zusammengestellt hat. Beide Ereignisse sind auf Zelluloid dokumentiert. Der dreistündige Film »Woodstock« machte das Ereignis über die drei Tage hinaus zur Legende. Er spielte innerhalb von 18 Wochen in den USA fünf Millionen Dollar ein und verbreitete Love and Peace and Drugs wie ein Werbeclip über die ganze Welt. Andererseits markiert Woodstock — und vor allem die folgende Auswertung mit Film und zwei das Ereignis dokumentierenden LP-Boxen — den Anfang einer Entwicklung, die in den letzten Jahren fast schon groteske Formen annahm: die allumfassende finanzielle Ausbeutung der Jugendkultur durch die Industrie, die, passend zum Kult, vom T-Shirt über den Film bis hin zum bedruckten Teddybären anbietet, was den Profit steigern könnte.

»Gimme Shelter« dokumentiert nicht nur eine der bis dahin erfolgreichsten Mammuttourneen der Popgeschichte, sondern eben auch deren unrühmlichen Abschluß in Altamont. Die Rolling Stones verdienten an dieser USA-Tournee sage und schreibe 4,1 Millionen DM, und das 1969. Zum Ende des Films sitzt Mick Jagger im Schneideraum und sieht immer wieder die Szene, die zum Tod von Hunter führte. Man kann das Messer einen kurzen, immer wieder eingefrorenen Moment lang sehen, die Bemühungen von Jagger und Keith Richards, die Situation unter Kontrolle zu halten, und die Bestürzung von Jagger, wobei nicht zu erkennen ist, ob diese nun echt oder nur gespielt ist.

»Gimme Shelter« und »Woodstock« sind nicht nur möglicherweise die beiden wichtigsten Filme aus dieser Zeit, sondern auch programmatisch für »Woodstock for a New Generation«, wie die Babylonier ihr einwöchiges Festival nennen. Die Konzertfilme überwiegen im Programm, so auch der eigentlich aus zwei getrennten Filmen bestehende »The Doors: Feast of Friends/ Hendrix at Berkeley«. Beide dokumentierten Konzerte haben nichts gemein, keine logische oder zeitliche Verbindung, und beide sind eher öde. Vor allem »Feast of Friends« nervt mit einer penetrant wackelnden Amateurkamera, minutenlangen toten Einstellungen oder Dummgeschwätz von Jim Morrison. Jimi Hendrix ist da etwas erträglicher, aber der bessere Hendrix-Film ist ohne Zweifel »Hendrix plays Monterey«, der nicht läuft. Der Film über das im Juni 1967 stattgefundene Montery Pop Festival, aus dessen Negativen das Hendrix-Special entstand, bringt das erste große Hippie-Ereignis, vielleicht den Startschuß der Bewegung, auf die Leinwand: Hendrix, Otis Redding, The Who, Ravi Shankar, Janis Joplin, Jefferson Airplane, The Byrds und viele mehr, so gut wie alle Größen standen in den drei Tagen auf der Bühne, aber die immerhin 50.000 Zuschauer boten nur einen lauen Vorgeschmack auf die Massen in Woodstock.

Die Spielfilme im Programm sind rar und — wenn man den Veranstaltern einen Vorwurf machen wollte — etwas offensichtlich ausgewählt. Unvermeidlich ist natürlich »Easy Rider«, der Film der Zeit, über den bereits alles gesagt ist. Nur soviel: Der Streifen von und mit Dennis Hopper veränderte nicht nur das Genre Road Movie endgültig, indem er ihm das Ziel, das Ankommen am Ende der Reise nahm, und war nicht nur einer der erfolgreichsten Filme aller Zeiten, wenn man die minimalen Produktionskosten mit dem Einspielergebnis verrechnet, sondern trug auch den hübschen deutschen Verleihtitel »Die wilden jungen Männer«.

Ebensowenig fehlen darf natürlich »Die Reifeprüfung«, der das Thema Aussteigen und jugendliche Revolte auf einem sehr privaten und wesentlich weniger revolutionären Niveau popularisierte. Allerdings hat der Film, der Dustin Hoffman zum Star machte, über die Jahre nicht so sehr verloren wie »Easy Rider«. Das verdankt er vor allem seiner stringenten Erzählweise, den poppigen Klängen von Simon & Garfunkel und der Beschränkung auf die pubertierende Revolte, die ihn fast zeitlos macht. Eine Qualität, die man der Militärklamotte »How I Won The War« mit John Lennon nicht gerade nachsagen kann. Regisseur Richard Lester machte übrigens auch die beiden Beatles-Filme »Help« und »A Hard Day's Night«, von denen zumindest der erste auch ganz gut ins Programm gepaßt hätte.

Eher in Vergessenheit geraten ist dagegen der erste Film, den Milos Forman in den USA drehte. »Taking Off« ist die Geschichte der Eltern eines pubertierenden Teenagers, der verschwindet und schließlich mit einem langhaarigen Freund, der natürlich Musiker ist, wieder auftaucht. Während die Tochter auf Trebe ist, geben sich die Eltern einige peinliche Blößen, vom Marihuana-Rausch bis zum Strip-Poker. Kein Film, der jenes oft und gerne beschworene Lebensgefühl wiederaufleben läßt, statt dessen eine Klamotte, bei der zudem auffällt, daß alle Akteure wie Tschechoslowaken aussehen, obwohl die Handlung eigentlich in den USA spielt. Trotzdem teilweise lustig und durchaus anzusehen, weil aus dem Rahmen fallend.

Das Interessanteste an solchen Festivals sind natürlich Filme, die man sonst nicht zu sehen bekommt. Oft sind dies Kurzfilme, für die es in heutigen Kinoprogrammschienen kaum noch Platz gibt. So zum Beispiel »Corridor« (1968-70): 22 anstrengende Minuten aus Überblendungen, hektischen Schnitten und Zeitlupe, Über- und Unterbelichtungen, rotierender und starrer Kamera, Negativbildern, extrem harten und extrem weichen Kontrasten und Stroboskop- Blitzen. Der Experimentalfilm von Standish D. Lawder mit der Musik von Terry Riley ist eher Meditation als Film und läuft am 16. August vor »Taking Off«.

»Cosmos« (am 18. 8. vor »Hendrix at Berkeley«), sechs Minuten lang, ist eine Spiel mit Farben und Formen, ein Film, der zeigt, daß es im Kino nicht nur um eine Verlängerung der Augen, eine Präzisierung und Lenkung des Sehens gehen kann, sondern auch darum, sichtbar zu machen, was das Auge eben nicht sehen, das Zelluloid aber zeigen kann. »Oh dem Watermelons« von 1965 (am 20.8. vor »How I Won The War«) dagegen ist einfach nur ein Witzfilmchen, in dessen Verlauf massenweise Melonen zerhackt, zerstückelt, zerquetscht, zerbrochen und als Sexualobjekt mißbraucht werden. Einfach lustig.

Neben zwei weiteren Programmen namens »Cinema Psychedelia«, sind fünf zu einem Programm zusammengefaßte Kurzfilme das Muß für den Fan von Velvet Underground. Teilweise sind sie wohl in der »Factory« entstanden, auch die historischen Multi-Media-Shows von Warhol, mit denen die Velvet bekannt wurden, sind wohl dokumentiert. Im Rahmen dieser Shows entstand übrigens der inzwischen historische Kult, mit Sonnenbrillen auf die Bühne zu gehen: Durch das Stroboskop, die Licht- und Dia-Show, die direkt hinter die Band auf eine Leinwand projiziert wurde, hätten Lou Reed, John Cale, Maureen Tucker und Sterling Morrison ohne die Brillen nicht sehen können. Inzwischen trägt jeder Velvet-Epigone, der etwas auf sich hält, bei Nacht oder Tag eine Sonnenbrille. Viel mehr ist über diese Kurzfilme nicht zu sagen, weil ich sie nicht gesehen habe, aber damit befinde ich mich in guter Gesellschaft. Es sind absolute Raritäten, sie werden so gut wie nicht gezeigt, und die Termine am 14. und 15. August dürften die letzten in Berlin auf absehbare Zeit bleiben. Thomas Winkler

»Woodstock for a New Generation«, ein Filmfestival zum 23jährigen Woodstock-Jubiläum, vom 13. bis 22. 8. im Babylon Mitte, Rosa- Luxemburg-Str. 30. Genauere Termine im Programmteil.