„Fußballer sind keine Entertainer“

■ Gespräch zum Bundesligaauftakt mit Günter Netzer, einst Mittelfeldästhet in Mönchengladbach, später Manager beim HSV

taz: Welchen Wandel hat der Sport hin zum Medienereignis durchgemacht?

Günter Netzer: Fußballspieler sind keine Entertainer. Den Fußball kann man nicht verfälschen. Hat ein Spieler Qualität, dann ist er ein großer Künstler. Das, was die Unterhaltung ausmacht, muß auf dem Fußballplatz geschehen, da reichen Pseudoaktivitäten und Gerede nicht aus. Die Basis ist Können! Natürlich stellt das Aussehen, die Persönlichkeit eine Attraktion dar. Aber: die Persönlichkeit muß sich im fußballerischen Können beweisen. Das wird heute oft verkannt.

Hat sich der Spielstil gewandelt?

Nein, nicht für das Fernsehen. Disziplin und Athletik zählen heute. Das ist dem TV nicht unbedingt angepaßt. Schöner Fußball hat auf dem Platz keine Erfolgsaussichten. Das Ergebnis zählt. Und der Zuschauer will Teil des Erfolges sein, er will mit der Mannschaft siegen. Die Disziplin ist dem ästhetischen Fußball leider immer noch überlegen.

Muß man den Profisport und den Amateursport heute schärfer trennen — die Vereine als Wirtschaftsunternehmen führen?

Die Unehrlichkeit früher habe ich gehaßt. Die armen Amateure mußten auf die Suche nach Nischen gehen, nur um irgendwelche Gelder abzuzweigen. Heute gibt es die Finanzierung auf breiter Basis; man kriegt das nicht mehr getrennt. Es gibt keine Amateure mehr, das wäre Augenwischerei; nur Profis und den Breitensport.

Fußball war lange Zeit der proletarische Sport par excellence, bot oft die einzige Chance, der Armut zu entrinnen.

Das gab es noch zu unserer Zeit in den Siebzigern. Es hieß: raus aus den Slums. Kevin Keegan hat mir oft genug gesagt, daß Fußball für ihn die einzige Chance war, als Sohn eines Bergarbeiters aus dem Milieu rauszukommen. Die Spieler bieten dem Zuschauer eine emotionale Entlastung. Bei Keegans großen Erfolgen in Hamburg haben sich die Leute mit seiner Arbeit auf dem Platz identifiziert.

Wird der Fußball seinen Platz behaupten?

Das Spiel ist mit der Nation verwachsen. Jeder hat es auf der Straße gespielt. Jeder ist ein kleiner Trainer.

Heute noch?

Nicht mehr so stark. Es ist unser Problem, daß man nicht mehr auf der Straße kickt. Aber das Fußballspiel bietet ein leibhaftiges Erlebnis, immer wieder. Da gehen wegen der Atmosphäre Leute hin, die gar nichts vom Fußball verstehen.

Kann ein einzelner Sponsor einen Verein zu stark beeinflussen?

Es darf nicht einer bestimmen, wo's langgeht. Um das Spiel herum ist jede Art Werbung o.k. Aber das eigentliche Spiel darf nicht verfälscht werden. Etwa durch Regeländerungen, Halbzeitverkürzungen, Werbeunterbrechungen, das ist absoluter Blödsinn. Fußball darf man für den Kommerz nicht verfälschen.

Geht es den Vorstandsetagen der Sponsoren um Emotion oder Geschäft?

Es geht ums Geschäft. So hat Opel seine Million mitten ins Bayernherz hineingepflanzt. Sie haben die Chance Bayern München wahrgenommen, es war ein reizvoller Coup, in die Phalanx BMW einzubrechen. Das war keine Emotion.

Wie stehen Wirtschaft und Sport generell zueinander?

Der Sport kann ohne die Wirtschaft nicht mehr existieren. In den letzten Jahren ist er in der totalen Vermarktung explodiert. Nur durch diese immensen Einnahmen können die Vereine die berechtigt hohen Gehälter an die Aktiven abtreten. Wirtschaft und Sport sind eine Einheit geworden.

Wie lautet Ihrer Meinung nach die Strategie der Sieger?

Egoismus. Eine gehörige Portion. Der Spieler muß sein Ego positiv umsetzen; muß also wissen, daß er andere an seinem Sieg und Können teilhaben lassen muß. Allein kann er nicht existieren. Das darf er auch nicht glauben. Die Aufgaben sind in der Mannschaft verteilt. Die Leitfunktion gehört dem Besseren, doch der normale Spieler gehört dazu, sonst funktioniert es nicht. Das Geheimnis liegt in der Mischung. Man muß im Hinterkopf haben, sein Ego für die Mannschaft zu verwenden. Zwar für sich etwas Großes wollen; aber das ist nur gesund, wenn es nicht Selbstzweck wird. Der Egoismus ist eine großartige Triebfeder, wenn die Leute charakterfest sind.

Der Egoismus wird im Fußball immer noch negativ aufgenommen. Liegt es am Neid und den Machtstrukturen innerhalb der Vereine?

Am Gruppenzwang. Jeder soll innerhalb der Mannschaft gleich behandelt werden. Das geht nicht. Der Star hat Macken, und er muß besonders behandelt werden. Er darf und muß ein gesundes Maß an Sonderrechten genießen, im Rahmen des Trainer-Konzeptes. Ich bin in Gladbach mit den Spielern nicht befreundet gewesen. Ich war keiner zum Anfassen. Aber die haben gesehen, daß ich viel für den Verein getan habe, und daß sie auch persönlich davon profitieren. Das Defizit heute: es wird zu wenig miteinander gesprochen und geholfen, Charaktere zu bilden.

Die Einsamkeit des Ballkünstlers?

Auf dem Platz ist man schon manchmal einsam. Aber man muß sich den Gegebenheiten unterordnen, Disziplin beweisen. Innerhalb dieser Ordnung kann es den Ballkünstler geben.

Haben Sie ein Schönheitsideal auf dem Platz?

Das muß im Moment zum Ausdruck kommen. Der Eigensinn auf dem Platz, das ist etwas Besonderes. Eben desjenigen, der sich traut, der Mut hat. Man lebt doch mit den menschlichen Unzulänglichkeiten und wird so jede Sekunde überrascht. Das Fundament des besonderen Spielers ist selbstverständlich die Technik, aber die größere Rolle spielt das Selbst.

Welche Formen der Niederlage sind unerträglich?

Die persönlichen Niederlagen, wenn man gnadenlos ausgepfiffen wird. Früher konnte man da nicht auswechseln, da mußte man durch — und sich am nächsten Tag auf den Platz trauen. Das Publikum darf man einfach nicht fürchten, auch wenn sie als Masse oder Meute für einen da sind.

Was haben Sie in Gladbach gelernt?

Ich habe mich auf fußballerischem Sektor mit einem Trainer, der sich auch noch entwickelt hat, weiterentwickelt. Das war noch nicht der große Weisweiler von zehn Jahren später. Wir haben aneinander gelernt, uns hochgerieben. Er hat mich zu einer Figur gemacht, die in jungen Jahren Entscheidungsträger wurde. Ich habe verinnerlicht: Ich bin etwas Besonderes, also muß ich auch Besonderes tun. Er hat mich provoziert. Ich habe dort laufen gelernt.

Die Protestgeneration?

Ich bin da eher spießig gewesen. Das war meine damalige Lebenspartnerin, die meinen Geschmack für Dinge wie Kunst und so weiter geprägt hat. Auch die langen Haare. Es war das Machwerk eines Lebenspartners, das instinktiv entstanden ist. Und irgendwann ging es nicht weiter. Ich konnte mir in Gladbach alles erlauben. Wie ein König in der Provinz. Dann der Sprung ins kalte Wasser: Madrid. Durchsetzen in einer Weltstadt. Die Mannschaft hatte mich nicht akzeptiert. Ich mußte mich durchbeißen; kämpfen mit dem eigenen Selbst. Jemand sein, der nicht resigniert und sich bejammert. Gladbach war die schönste Zeit. Madrid die wichtigste. Die Zeit als Manager beim HSV war eher ein Versehen. Ich wollte nicht in den Fußball zurück, hatte aber als Spieler aufgepaßt, was die Funktionäre tun. Das Spielermaterial in Hamburg war gut, man mußte es aus dem Bauch heraus in Ordnung bringen. Mit brutaler Härte. In einem Jahr waren wir Meister.

Sie sprechen von Spielermaterial, von sich als Objekt?

Objekt muß sein. Da gibt es die vertragliche Bindung. Meine Tätigkeiten haben viel Energie gekostet. Zum Beispiel war ich beim HSV nur für das Unangenehme zuständig. Die Spieler wissen gar nicht, wie gut sie es haben. Man hat das Spiel verloren, drei Stunden nachgedacht, und am Abend, bums, schon vorbei. Dann am nächsten Morgen: eine Sechs in der Bild-Zeitung, da war man sauer, aber am Montag hatte man auf dem Platz wieder ganz andere Sorgen.

Fasziniert Sie jetzt etwas so wie der Fußball?

Kein Sport. Sondern das Familienleben. Ich habe mir nicht vorstellen können, daß das passiert. Es hat durch die Geburt meiner Tochter eine große Wendung genommen. Ich bin der Meinung, daß ich auf der Sonnenseite des Lebens gelebt habe und bin dankbar. Ich brauche keine dritte Karriere. Ich habe vieles erlebt und durchlebt. Es gibt keine derartige Herausforderung mehr, daß ich denke, das will ich anpacken.

Haben Sie sich das beim Bolzen träumen lassen?

Nein. Wenn man klug ist, beschäftigt man sich nicht mit seiner Zukunft. Interview: Ulrich Wünsch