Georgiens Innenminister gekidnappt

Regierungsvertreter bei Verhandlungen als Geisel genommen/ Schewardnadse kündigte um Mitternacht militärisches Vorgehen gegen „Swiadisten“ an: „Wir sagen unseren Feinden den Kampf an“  ■ Aus Moskau K.H. Donath

Wo einst die Argonauten in der Ebene Kolchidas nach dem goldenen Flies suchten und Georgien so schon frühzeitig Teil der europäischen Kultur wurde, sollen nun Truppen die Suche nach gekidnappten Politikern aufnehmen. Am Dienstag waren bei Verhandlungen über die Freigabe des im Juli entführten Premierministers Alexander Kavsadse erneut Mitglieder der Regierung als Geisel genommen worden. Diesmal waren es die aus Tbilissi angereisten Unterhändler, die den Anhängern des einstigen Präsidenten Swiad Gamsachurdia in die Hände fielen. Unter ihnen Innenminister Roman Swentsadse, der Nationale Sicherheitsberater, fünf weitere „Verhandlungspartner“ und der Chef der lokalen Administration der Stadt Sugdidi, in der das Treffen stattfinden sollte. Sugdidi, eine Stadt in Westgeorgien, gilt gemeinhin als die Hochburg des im Januar über den Kaukasus geflüchteten Gamsachurdia.

Schewardnadse, der wegen seiner Verbindungen mit Rußland lange Zeit meistgehaßte Mann in seiner Heimat, konnte erst nach den blutigen Auseinandersetzungen im Frühjahr 92 nach Tbilissi zurückkehren. Zunächst war er umstritten. Jetzt sollen die kampfesmüden Georgier ihn zu 70 Prozent unterstützen. Dazu beigetragen hat die internationale Anerkennung durch 60 Staaten, die allein Schewardnadse zu verdanken war. Die Ankündigung Schewardnadses im Fernsehen, strikt gegen die Gegner vorzugehen, zeigt seine relativ sichere Position.

Noch am Dienstag hatte er den bewaffneten Anhängern Gamsachurdias Straffreiheit zugesichert, wenn diese die Waffen niederlegen. Der Versöhnungsversuch wurde mit dem Kidnapping eindeutig beantwortet. Niedergeschlagen meinte Schewardnadse im Fernsehen: „Seit ich nach Georgien zurückgekommen bin, habe ich dieses Wort nicht mehr gebraucht. — Wir sagen den Feinden und Verrätern Georgiens den Kampf an!“ Jetzt erhebe sich die Frage, ob das Gute oder Böse die Oberhand gewinnt.

Schewardnadse gibt sich die Schuld an den Vorgängen. Zu glauben, die Widerwärtigkeit des Gegners müsse irgendwo an ihre Grenzen stoßen, sei ein Fehler gewesen. „Ich wußte von ihren schlechten Absichten und daß sie zu allem fähig sind. Dies ist meine persönliche Niederlage, weil ich mich getäuscht habe. Ich habe die Kräfte, die gegen Georgien kämpfen, nicht realistisch eingeschätzt“.

Nun stehen die Streitkräfte bereit, um in Sugdidi einzumarschieren und die Minister zu befreien. Schewardnadses Angebot, von seinem Posten zurückzutreten, haben die Mitglieder des Staatsrates dagegen abgelehnt. Doch selbst mit der Befreiung der Minister verschwinden nicht gleichzeitig die zahlreichen Konfliktherde des Landes, in dem überall das Chaos herrscht. So werden zum Beispiel regelmäßig Züge überfallen und Passagiere ausgeraubt. Selbst auf den Zugbegleitschutz war bisher kein Verlaß: Bei einem der jüngsten Überfälle hatte er die Reisenden aufgefordert, alles abzugeben, damit es zu keiner Schießerei käme.

Weiterer Konfliktherd ist Abchasien, eine ehemals autonomen Republik im Westen Georgiens. Auch hier sitzen zahlreiche Anhänger des vertrieben Präsidenten. Das kleine Gebiet am Schwarzen Meer strebt nach Unabhängigkeit und internationaler Anerkennung. Der Vorsitzende des Obersten Sowjets Abchasiens sagte gestern: „Wir sind bereit zu partnerschaftlichen Beziehungen mit Georgien, aber nicht zu einem Verhältnis, das auf Macht und Unterordnung beruht“.