Identität ist ein Vorurteil...

■ ...was zählt, ist der Wille zum Spiel: Machel Montano & seine Band »Xtatik« bringen Pop ins Tempodrom

Es ist eine merkwürdige Tanzmusik, auf die sich Trini Trimpop gestürzt hat, seines Zeichens Manager der Toten Hosen und als solcher eigentlich für strammen Pogo verantwortlich. Soca, Soul of Calypso, nervös dudelnder Fröhlichbeat für die Après-Surf-Fete, bei der die geladenen Gäste allerdings nie so recht wissen können, ob die Musiker auf der Bühne sie mit ihrer guten Laune nicht vielleicht verarschen wollen. Ursprünglich auf Trinidad und Tobago von den spanischen Kolonialherren als Lobpreisungslieder für die Weihnachtszeit verordnet, hat sich die Musik zur subversivsten Kraft der Karibik entwickelt. Calypso statt Kontemplation. Tanzt die Spanier in Grund und Boden. 1797 sind sie dann tatsächlich gegangen (nicht ohne zuvor die Engländer als Wachablösung herbeizuholen).

Auf nahezu märchenhafte Weise ist dadurch eine Musik entstanden, die sich der Kultur der Herrschenden bedient, um sie mit eigenen Elementen umzumodeln. Das rhythmische Grundmuster besteht seit den Anfängen zu gleichen Teilen aus europäischer und afrikanischer Kultur. Wahrscheinlich macht dieses vorurteilslose Mischungsverhältnis die Irritation aus. Dort, wo man noch eine bescheidene, allerhöchstens erbauliche Folklore vermutet, wird seit vierhundert Jahren an einer lockeren Popkultur gewirkt, die für alle Hautfarben Platz hat. Der aktuelle Soca- Sound ist dabei eine ungeheuer schnelle Variante der Calypsoklänge, so wie Speed Metal irgendwann Heavy Metal ersetzt hat. Die Idee bleibt die gleiche.

Auch der gerade einmal 17 Lenze zählende Machel Montano weiß, wie er mit seiner elfköpfigen Band die Menge vor dem Tempodrom beglücken kann. Ganz Chef der Liebe widmet er die Songs allen Frauen im Rund oder stürzt sich unter allgemeinem Kreischen in immer verwegenere Tanzschritte. Vom Scheitel bis zur Sohle ist er der bessere (nicht mehr MC) Hammer. Machels Pumphosen flattern weniger athletisch und lustbetont um die Hüften, sie streichen ihm vielmehr in sanften Wellen wie Segeltuch am Popo entlang.

Doch in seinen Gesten liegt nicht nur Sehnsucht. Immerhin wird Machel Montano von vielen bereits als Nachfolger Michael Jacksons gehandelt, dem er zumindest in der Geschmeidigkeit seiner Bewegungen den Rang ablaufen könnte. Der Jungkünstler wippt und pulst, was das Unterleibsgestell hergibt. Dennoch scheinen die Berliner Heimatklängegänger Schwierigkeiten mit dem selbstsicheren Entertainment zu haben. Der Funke springt nur zaghaft über und nach der Pinkelpause lichten sich die Reihen deutlich. Irgendwann scheinen nur die hartgesottensten afrokaribischen Clubber übriggeblieben zu sein.

Unter diesen verschärften Tanzbedingungen erweist sich die Band dann als absoluter Knüller des urbanen »Volx-Festivals«. Plötzlich flechten Machel Montano & Xtatik auch Kool & The Gang-Bläsersätze oder ruffe Raggamuffinriddims mit in den ohnehin schon überbordenden Klangschwall ein. Selbst Hiphop wird dabei nicht verschont. Alles fließt eben so ineinander. Wie einen Fußball nimmt der Steeldrumspieler ein kurzes Technothema auf, um es als Klingklang in einem kurzen Break durch seine Wannen zu jonglieren.

Eines wird bei all diesen Aktionen klar: Identität ist ein Vorurteil, mit dem die schwarze Musik schon seit langem gebrochen haben muß. Was zählt, ist der Code, der sich hinter dem Spiel verbirgt. Die Musik transportiert Energie, mit der die Texte unterfüttert werden — Machel Montanos kleine Geschichten von Sex und Glück. Die maritime Fröhlichkeit täuscht nur Außenstehende. Alle Probleme der Karibik lösen sich nicht in Wohlgefallen auf, weil die Menschen dort gerne nach Soca tanzen. Sie werden nur erträglicher. Von daher verkörpert Montano eine vielleicht noch viel größere Persönlichkeit als der kinder- und tierliebe Michael mit all seinen Wohltätigkeitsveranstaltungen.

Machel Montano steht für ein ungebrochenes Selbstbewußtsein der kreolischen Bevölkerung, die sich nicht auch noch den letzten Spaß von der sie benefizzenden weißen Gesellschaft nehmen läßt. Die beiden sollten sich einmal kennenlernen, allein schon deshalb, weil man im Musikkanal MTV scheinbar auch in Port- of-Spain empfangen kann. Harald Fricke

Machel Montano & Xtatik noch bis Sonntag im Tempodrom, an der Kongreßhalle.