Europa zum Taschengeld-Tarif

■ Interrail vor dem Aus?

Interrail vor dem Aus?

Berlin (taz) — Kreuz und quer durch Europa mit dem Rucksack und einer einzigen Fahrkarte — mit diesem Angebot an junge Leute locken bislang die europäischen Bahngesellschaften. Mit 510 Mark sind alle unter 26 dabei und können einen Monat lang fast das gesamte europäische Bahnnetz benutzen. Doch die Südstaaten des Interrail-Verbundes drohen dem beliebten Fahrschein für Eurotrotter nach Angaben der Deutschen Bundesbahn ab dem nächsten Jahr mit dem Aus. Spanien, Frankreich, Italien, Portugal sowie das nordafrikanische Marokko fühlen sich bei der Verteilung des Einnahmekuchens benachteiligt. Die spanische Bahn verlangt schon jetzt von Interrail-Reisenden an der Staatsgrenze einen Zuschlag.

Der Hintergrund der Drohgebärden: Während das Ticket bei den Nordeuropäern, allen voran Deutschen, Briten und Niederländern, hoch im Kurs steht, wird es von den Jugendlichen der Mittelmeerstaaten kaum gefragt. Die deutschen Interrailer alleine erstanden im vergangenen Jahr 60.000 der insgesamt 330.000 verkauften Karten. Folglich rollt auf die Länder im Sonnengürtel Europas der Hauptstrom der Rucksacktouristen zu. Die Bahngesellschaften dort klagen über mit Interrail-Reisenden und ihrem sperrigen Gepäck vollgestopfte Waggons. Die hohe Beanspruchung ihres Streckennetzes wird ihnen aber nach eigener Ansicht nicht ausreichend entgolten. Die Einnahmen aus dem Verkauf jeder einzelnen Karte gehen in einen gemeinsamen Topf und werden nach einem bestimmten Schlüssel aufgeteilt, den die Südländer zu ihren Gunsten neu berechnet haben wollen.

Im Oktober wird sich voraussichtlich entscheiden, ob Europa auch weiterhin zum Taschengeld-Tarif „erfahrbar“ bleibt. Dann treffen sich die Bahnchefs des Interrail-Verbundes. Zur Debatte steht dabei nach Auskunft der Bundesbahn auch ein zweites, auf Südwesteuropa beschränktes Interrail-Ticket. Udo Bünnagel