Espede und Kapede

Zum 80. Geburtstag von Erwin Strittmatter  ■ Von Karl-Heinz Kammertöns

Brecht nannte ihn „einen, der nicht aus dem Proletariat, sondern mit dem Proletariat gekommen ist“. Der heute vor 80 Jahren in Spremberg geborene Erwin Strittmatter war Bäcker, Kellner, Chauffeur, Tierwärter und Hilfsarbeiter, bevor er mit dem Schreiben begann. Bereits in den fünfziger Jahren schrieb er kleine Erzählungen. Brecht interessierte sich für seine Arbeit und führte 1953 im Berliner Ensemble Strittmatters „Katzgraben“ auf. In den sechziger Jahren wurde in Westdeutschland Strittmatters „Wundertäter“ eingestampft, weil er den Bau der Mauer befürwortet hatte. Teil drei des „Wundertäters“ sollte dann in der DDR nicht erscheinen, weil Strittmatter Kritik an der SED und der UdSSR geübt hatte. In seinem Tagebuch „Die Lage in den Lüften“, das er zwischen 1973 und 1980 geführt hatte, zeigt Strittmatter noch einmal seine Kritik an der SED und der von ihr gegängelten Kultur. Die Themen seiner Romane sind vielfältig. Die Bodenreform in der DDR wird in dem Roman „Ochsenkutscher“ beschrieben, und im „Ole Bienkopp“ setzt sich Strittmatter mit der damals von der SED ins Leben gerufenen „Neuererbewegung“ auseinander. Seine Figuren sind keine angepaßten Ja-Sager, sondern Individualisten. Strittmatters in der DDR umstrittener „Ole Bienkopp“ ist nicht der „Neuerer“ im Sinne der SED, sondern ein Querkopf, dessen Leben geprägt ist von der Situation des „Zufrüh-“ oder „Zuspät-Kommens“. — Seine Roman-Trilogie „Der Laden“, deren erste zwei Bände in der DDR erschienen, begann Strittmatter 1983. Der dritte Band liegt jetzt vor.

Im ersten und zweiten Teil des Romans erwerben Esau Matts Eltern 1919 im Heidedorf Bossdom in der sorbischen Lausitz eine Bäckerei und einen Laden. Im „Laden“ treffen sich die Bossdomer, kaufen ein und erzählen sich Neuigkeiten, Wahres und Unwahres. Die Mutter regiert von hier aus das Dorf und ihre Familie. Esau Matt, mit dem Autor biographisch verwandt, wächst in Bossdom auf, geht in Grodk auf die „hoche Jungsenschule“ und lernt das Bäckerhandwerk. Währenddessen übt er sich als heimlicher Schriftsteller.

Schwerpunkt des Romans ist zweifellos der dritte Teil. Esau Matt schildert die Bodenreform in der DDR, die von den „davongegangenen Gutsherrn“ als „Diebstahl“ bezeichnet wird. Der schreibende Esau Matt wird von keinem kommunistischen Funktionär belehrt, über Gutsarbeiter zu schreiben. Er ist sich bewußt, daß „ein Dichter keine Vordenker akzeptieren darf“. Noch aber ist Esau Matt kein Schriftsteller. Er hat eine Schreibecke in der Backstube. Sein Vater nennt diese Ecke mit herabgezogenen Mundwinkeln das „Tichterbüro“. Vater Matt hält es für ausgeschlossen, daß sein Sohn beim „Tichten“ was zustande bringen könnte. Doch die Bossdomer haben andere Sorgen. Über die einmarschierenden Russen weiß Paule Nagorkan zu berichten, „wir sind in die zweete Diktatur reingeworden“.

Der „Laden“ lockt auch fahrende Leute, Bettler, Rumgeher und hungrige Arbeitslose an. Für eine Zigeunerin holt Esau Matt aus Mutterns Laden Pfeffer und Salz. Die Zigeunerin bedankt sich bei dem „scheenen Jungen“ und fragt ihn: „Weeste schon, wie gefuckt wird?“

Vater und Sohn Matt wissen aber auch zu feiern. Als sie von einer Hochzeitsfeier kommen, lallen sie „Pößt! Espede und Kapede.“ In Berlin hätten sie ein großes „Handgeben vorgeführt, und das hätten sie, pößt, in Bossdom nachgemacht“. Für die Matts stellt sich im Arbeiter-und- Bauern-Staat die Frage, was man tun würde, wenn man nicht selbständiger Handwerker wäre. Würde man Kommunist? Nein — es wäre unlogisch, „kein Kommunist zu sein, wenn man nichts hat, aber wenn man zu etwas gekommen ist, verwischt sich einem die Sicht auf die Klassen“.

Esau Matt steigt auf. Er schreibt für die Tägliche Rundschau über den Milchfahrer Metag, „der sich sein Lastauto aus Schrott zusammenbaute. Er kennt keinen Sonntag, fährt und fährt Milch. Bravo!“

Dem Dichter Esau Matt bleiben nur wenige Freunde, mit einer Dichterin lebt er unter einem Dach. Er liest ihre Gedichte, die „ihm bestätigen, daß wir uns seit vierzig Jahren freund geblieben sind“.

Strittmatter schreibt sich im dritten Teil des „Ladens“ frei. Die Wende macht es möglich. Geblieben sind ihm die Texte des „Tao-te- king“. An manchen Stellen des Buches fragt sich der Autor: „Hast du das nicht schon gewußt, aber nicht gewagt auszusprechen?“ Jetzt kann er aussprechen, was er sieht. Aber — „das Neue ist das Alte“, das nur seine Form ein wenig veränderte. Wieder wird nach dem „starken Mann“ gerufen, der „die Krämer aus dem Tempel treibt und einen Arbeitsdienst für die Arbeitslosen erfindet“.

Erwin Strittmatter: „Der Laden“, Romantrilogie, in Kassette, Aufbau-Verlag 1992, 1.460 Seiten, 58DM.

Oder einzeln: „Der Laden“, Teil3, Aufbau Verlag 1992, 430 Seiten, 39,80DM.