Eine abscheuliche Gewalttat

Der Tag, an dem das „Kommando Heribert Faßbender“ den Sat.1-Sportchef entführte  ■ Von Herrn Thömmes

Es ist Samstag abend, der 15.August 1992. Kurz vor 18Uhr fährt ein moosgrüner BMW737 durch die Straßen Hamburgs. Sein Ziel: der Stadtteil Tonndorf. Von der Jenfelderstraße aus biegt der Wagen mit seinen vier Insassen auf das Gelände von „Studio Hamburg“. Auf einem 80.000 Quadratmeter großen Gelände arbeiten hier über einhundert Medienbüros und Produktionszentren. Aber darüber macht man sich in dem BMW keine Gedanken.

Mit leise schnurrendem Motor schlängelt sich die Limousine durch schmale Gassen, vorbei am Haus des Senders „Premiere“, der zentralen Kantine und einem Komplex des ZDF. Ganz am Ende des Wegs liegt das HausK, ein schmuckloser Zweckbau mit häßlichen, weißen Kacheln. Hier regieren die Herren des Fußballs: die Sportredaktion von Sat.1.

Das Auto wird durch einige Wendemanöver in Fahrtrichtung gestellt, die drei Männer und die Frau ziehen sich Nylonstrümpfe und Haßkappen über die Köpfe. Geredet wird nicht, die Verständigung geschieht durch einstudierte Handzeichen. Alles passiert von nun an rasend schnell, doch Millionen Zuschauer zu Hause an den Bildschirmen ahnen nichts...

Erst in der „Tagesschau“ wird die Öffentlichkeit informiert, als Werner Veigel diese Nachricht verliest: „Hamburg: Heute abend gegen 18Uhr drangen mehrere bewaffnete und maskierte Personen in die Senderäume von Sat.1 ein. Sie zwangen dort Reinhold Beckmann, den 36jährigen Sportchef, das Gebäude mit ihnen zu verlassen. Vorher wurde technisches Gerät im Wert von mehreren Millionen Mark zerstört. Die Täter konnten mit ihrem Opfer unerkannt entkommen, über das Motiv der Tat herrscht nach wie vor Unklarheit.“

In Wirklichkeit weiß die Polizei schon mehr. In Beckmanns Garderobe wird ein Bekennerschreiben gefunden, worin sich die Gruppe als „Kommando Heribert Faßbender“ bezeichnet. Die Abteilung Staatsschutz wird eingeschaltet. Nachdem ein Beamter die Zeichnung auf dem Papier als „Fernsehgerät, vor dem sich ein Teleobjektiv mit einer Maschinenpistole kreuzt, neben dem Schriftzug KHF“ identifiziert hat, wird die Aktion als „eindeutig politisch“ eingestuft.

Kopfzerbrechen machen einige Kleinigkeiten, die nicht ins übliche Bild passen. So gibt ein Tontechniker („Wahnsinn, sowas“) zu Protokoll, einer der Entführer habe eindeutig das Lied „Nie mehr zweite Liga, nie mehr, nie mehr“ gepfiffen. Daraufhin konzentriert sich die Fahndung vor allem auf die Stadtbereiche St. Pauli und Altona. Verwirrung stiftet, daß die Täter in nur wenigen Sekunden mit Negerküssen und Ketchup (ein Beamter zur Morgenpost: „Wie die Vandalen“) einige Textilien von Beckmann zerstören. 47 handbemalte Krawatten, neun Designer- Jeans sowie 14 Jacketts in verschiedenen Farben sind für immer unbrauchbar. Der Leiter der Ermittlungen: „Das waren Profis.“

Sat.1 bittet zu einer improvisierten Pressekonferenz. Dort erklärt Geschäftsführer Werner Klatten, dies sei ein Schlag nicht nur gegen die Pressefreiheit, sondern auch gegen den Fußball (wörtlich: „beide stehen auf dem Spiel“). Er sehe sich in der Schuld der Fans, gerade zum heutigen Auftakt der Bundesliga. Man lasse sich die Berichterstattung 120 Millionen Mark jährlich kosten, um „die Zuschauer zu verwöhnen“, die Tat stehe mit Sicherheit in direktem Zusammenhang mit der neuen Fußballsendung „ran“, die durch ihre Exklusivität die alte „Sportschau“ ablöse. Auf die Frage, ob man trotz der Entführung die Sendung wegen der drei Werbeblöcke mit einem Ersatzmoderator (Johannes B. Kerner: „Ich tat's für Reinhold“) ausgestrahlt habe, sagt Klatten: „Auch Beckmann hätte das so gewollt. Dazu ist er zu sehr Journalist.“

Inzwischen distanziert sich in Köln Heribert Faßbender von der Tat. Natürlich, sagt der WDR- Sportchef, lasse ihn das Ende der „Sportschau“ nicht kalt, doch das rechtfertige in keinem Fall diese „abscheuliche Gewalttat“. Er wolle alles tun, um das Schicksal seines ehemaligen Schützlings Beckmann zu erleichtern und biete sich als Austauschgeisel (Pfarrer Albertz des Fußballs) an.

In Bonn bildet sich ein Krisenstab. Wie es heißt, übernimmt Helmut Kohl persönlich die Leitung. Später wird der Kanzler einem Rundfunkreporter erklären, Grund dafür sei gewesen, daß er die von Beckmann bei „Premiere“ entwickelte Superzeitlupe „sehr föhn“ finde (auch nach mehrmaligem Abhören bestätigt sich, Kohl sagte: „sehr föhn“).

Die Arbeit der Polizei kommt ins Stocken: Teile des Bekennerschreibens sind durch Ketchup unleserlich, die Fragmente (..IN unruhigen zeiten das volk verwirren...SChlag gegen die grundbedürfnisse der massen...SPortschau wie brot und luft...“) ergeben keinen Sinn. Im Offenen Kanal wird ein Interview mit Thomas Ebermann gesendet. Dieser sagt, ihn interessiere „an diesem Sender“ nur die Pferdewette (Sat.1- Kommentator Jörg Wontorra: „zynisch, menschenverachtend“) und das Rennen der Woche, ansonsten müsse jeder selbst die Verantwortung tragen, wenn er sich mit Springer und Kirch einlasse, denen gehöre doch „der ganze Sat-Scheiß“.

Am Sonntag morgen treffen sich gegen 9.30Uhr die Spielervertreter aller Bundesligisten auf dem Frankfurter Flughafen in einem Konferrenzraum der Lufthansa. Sprecher Pierre Littbarski lapidar: „Alle Bälle liegen still.“ Streik, bis „Reini“ („und zwar mit gesunden Ohren“) wieder auftaucht!! Derweil sitzen in einem Bauernhof bei Stade Beckmann und ein Entführer im Keller, unter einer nackten Glühbirne spielen sie Tipp-Kick. Täuscht es, oder huscht da wirklich ein Lächeln über das Gesicht des Fernsehmannes?