PRESS-SCHLAG: Berti und die Berggorillas
■ Vor dem Start zur 30. Bundesligasaison legte Berti Vogts den Grundstein einer neuen Fußballkultur
Was verbindet die Berggorillas im Regenwald Ruandas mit der Abwehr von Bayern München? Berti Vogts, wer sonst. Der Bundestrainer hat spätestens nach dem EM-Triumph der lockeren Dänen erkannt, daß die alten Erfolgswege des deutschen Fußballs — akribische Vorbereitung, Kampfgeist, Disziplin, Verbissenheit, Arbeit, Arbeit, Arbeit — nicht mehr zeitgemäß sind. Eine neue Weltoffenheit ist gefragt, Fußballer, die nicht über den Rand der roten Karte hinauszudenken vermögen, sind Relikte der Vergangenheit. Wer die Welt kennt, kann auch besser kicken. „Was habe ich denn als aktiver Fußballer gesehen? Vom Flughafen ging es ins Stadion, von da zum Hotel“, beklagt Vogts die menschlichen Defizite seiner eigenen Karriere.
Schluß also mit dem Scheuklappenfußball, und der Bundestrainer ging selbst mit gutem Beispiel voran. Zusammen mit dem Tierfilmer Heinz Sielmann hielt der begeisterte Naturfreund 336 Fußball- Talenten bei einem U16-Sichtungslehrgang einen Vortrag über Regenwaldvernichtung, Tierschutz, Grizzlybären, Königspinguine, Menschenaffen und schärfte das Bewußtsein der Jung-Kicker für Probleme dieser Welt, die sogar noch schwieriger zu überwinden sind als die Abseitsfalle. Vogts: „Der Aufstieg zum Nebelland der Berggorillas durch den heißen Regenwald Ruandas dauerte sechs Stunden. Dann sahen wir die größten Menschenaffen der Welt. Denen darf man aber nicht in die Augen sehen, weil sie sonst angreifen. Also warfen wir uns in den Schlamm.“
Womit wir bei den Münchner Bayern wären. Die stecken seit geraumer Zeit im Schlammassel, und in die Augen sehen sie ihren Gegnern schon lange nicht mehr. Allein, es hilft nichts, angegriffen werden sie trotzdem. Steigen sie nun ab oder nicht? Das ist die Kardinalfrage der 30. Bundesligasaison. Die Chancen stehen gut. Ihre beiden Besten, Stefan Effenberg und Brian Laudrup, haben sie nach Florenz vergrault, ihr Drittbester, der Brasilianer Mazinho, ist noch verletzt, und wenn er mal fit ist, darf er meist nicht spielen. Mit der Verpflichtung von Helmer und Jorginho haben sie zwar etwas für die Abwehr getan, dafür werden Wouters und Berthold durch die neue Rückpaßregel der wesentlichsten Grundlage ihres Spiels beraubt. Zudem scheint Trainer Ribbeck weiterhin an seiner Viererkette ohne Libero festzuhalten, mit anderen Worten: Keiner da, dem in Not geratene Abwehrspieler den Ball sicher zurückpassen können. Bleibt Mehmet Scholl, zweifelsohne ein Riesentalent. Riesentalente haben die Bayern aber seit jeher mit besonderer Vorliebe zugrunde gerichtet, der letzte, der diesem Schicksal entrinnen konnte, war Karlheinz Rummenigge. Was die Bayern retten könnte, ist der grundlose Respekt, den andere immer noch vor ihnen hegen. Je fünf Trainer und Kapitäne aus der Bundesliga glauben gar, daß Bayern Meister wird, darunter auch Dragoslaw Stepanovic von der Frankfurter Eintracht. Dessen Team wird in dieser Saison wohl kaum gegen den Abstieg, aber auch nicht um die Meisterschaft spielen. Andreas Möller ist, wenn nicht noch irgendein obskurer Pakt mit Juve, dem Teufel oder Klaus Gerster auftaucht, erstmal weg, dem Mittelfeld fehlt damit der Kristallisationspunkt. Ein einsamer Uwe Bein wird vergeblich nach Adressaten für seine tödlichen Pässe suchen und langsam aber sicher der Verzweiflung anheimfallen, Torwart Uli Stein dürfte etwa Mitte der Spielzeit Opfer eines Tobsuchtsanfalls werden, der bis zum Saisonschluß nicht mehr aufhören wird.
Mit absoluter Sicherheit Deutscher Meister wäre Borussia Dortmund geworden, hätte nur der Deal mit Bebeto geklappt. So aber müssen sich die Westfalen wohl wieder mit dem VfB Stuttgart rumschlagen, der durch die Verpflichtung André Golkes den Weggang von Matthias Sammer locker wettgemacht hat. Bei den Westfalen wird sich der Tausch Helmer-Reuter etwa so auswirken wie ein Wechsel Humpel gegen Pumpel, im Angriff sollten dänische Nonchalance und schweizerische Präzision diesmal eigentlich ausreichen.
Getrost vergessen kann man Bayer Leverkusen, bei denen die 3.000 verkauften Dauerkarten vermutlich der größte Saisonerfolg bleiben werden. Begehrt wie Autogramme von Magic Johnson waren die Dauerkarten von Borussia Dortmund. Mit 25.400 verkauften Tickets, die zulässige Obergrenze, stellten die Dortmunder einen Bundesliga-Rekord auf, gefolgt von dem 1. FC Kaiserslautern mit 17.200. Das Zuschauerinteresse an der Bundesliga ist nach der turbulenten letzten Saison immens, insgesamt wurden bereits über 100.000 Dauerkarten verscherbelt.
Auch der Transfermarkt brodelte. Für 75 Millionen Mark wurden 75 Spieler gekauft, Bundesliga-Rekord sind die acht Millionen, die Bayern München für Thomas Helmer an Dortmund zahlt. Die Bayern setzten allein rund 44 Millionen Mark um. 21,95 Millionen zahlten sie für Helmer, Scholl, Jorginho und Schupp, 21,83 kassierten sie von Florenz für Effenberg und Laudrup. Ob das reicht, dem Abstieg an der Seite von Schalke 04 und Uerdingen zu entgehen, ist allerdings mehr als fraglich. Unsere Empfehlung für die Winterpause: eine Exkursion nach Ruanda zu den Berggorillas. Matti
P.S.: Dortmund wird Meister.
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