Der Affe ist tot — es lebe der Mensch!

Transplantationen zwischen Tier und Mensch überwinden zoologische Barrieren/ Paviane sind seit 1905 das beliebteste „Ersatzteillager“: Seine Organe sollten 33mal das Leben von Menschen „retten“/ Auch Schweinenieren „durchaus denkbar“  ■ Von Gisela Wuttke

Die Tat dauerte exakt elf Stunden und 18 Minuten. Um 2.42Uhr schließlich war das Wunder im Medical Center von Pittsburgh vollbracht: Ein sterbenskranker weißer US- Amerikaner wurde durch die Leber eines Affen gerettet. Er, der Mensch, litt an einer unheilbaren Hepatitis-B-Infektion. Der Affe, männlicher US-Amerikaner wie er, wurde als potentieller Organspender aufgezogen, für die Lebertransplantation nach Pittsburgh eingeflogen und operativ getötet (explantiert). Der Zustand des 35jährigen Patienten habe die Transplantation einer menschlichen Leber „nicht erlaubt“. Diese wäre, von den aggressiven Viren bedroht, in nur kurzer Zeit ebenfalls tödlich erkrankt. „Erlaubt“ war damit die Verpflanzung eines nicht- menschlichen Organs, eines Pavians. Paviane sollen nämlich gegen Hepatitis-B immun sein. Schon einen Tag später kann der Patient seine Ärzte „erkennen“. Unter ihnen befindet sich auch, als „unabhängiger Experte“ hinzugezogen, Keith Reemtsma vom Medical Center in Manhattan, der in den Jahren 1963/64 insgesamt 13 Affennieren in menschliche Körper verpflanzt hatte. Alle Patienten sind daran gestorben(New York Times vom 2.Juli 1992).

Dabei liegen die ersten Versuche der Verpflanzung von Xeno (nicht- menschlichen) -Organen bereits Jahre zurück. Der französische Chirurg Princeteau gilt als der Pionier. Im Jahr 1905 wagte er, einem Kind die Segmente einer Kaninchenniere einzupflanzen. Trotz eines zunächst verbesserten Befundes starb das Kind nur 16 Tage nach dem Eingriff an einer Lungenstauung. Wenige Jahre später transplantierte der deutsche Chirurg Ernst Unger die Niere eines Makaken-Affen, wodurch der Patient sein Leben um 32 Stunden verlängern konnte. Seine Todesursache — Thrombose.

Die Geschichte der modernen Medizin ist reich an Fehlschlägen und Irrtümern, was niemanden wirklich entmutigte. Allenfalls gewährten sich die Mediziner eine Atempause, um schließlich, in einem zweiten Anlauf, den Durchbruch noch vorhandener zoologischer Barrieren vermelden zu können. Doch auch diesmal, wir schreiben das Jahr 1963, schlug der Versuch fehl: der 68jährige Amerikaner J.D. Hardy überlebte die Transplantation eines Schimpansenherzens nur um eine Stunde. Den größten Erfolg feierte im Jahr darauf besagter Reemtsma, der nach einer Serie von Xeno-Transplantationen einen Patienten zu den Akten legen konnte, dessen Körper die Niere eines Schimpansen erst nach neun Monaten abstieß.

Weltweites Aufsehen erregte erst „Baby Fae“, dem 1984 nach nur zwölf Tagen des Erdendaseins von Leonard Bailey, dem bahnbrechenden Chirurgen der Kinderklinik in Loma Linda (Kalifornien), das Herz eines Pavians eingepflanzt wurde. Das kleine Baby Fae überlebte diesen Eingriff um 20 Tage. Niemand, auch der in Herztransplantationen zu diesem Zeitpunkt noch unkundige Bailey, hegte die Hoffnung, daß das arme Kind mit dem Herzen eines Affen überleben würde. Allein — der Versuch heiligt das Mittel. Bailey glaubte felsenfest, daß das noch unentwickelte Immunsystem eines Säuglings keine Antikörper gegen das tierische Herz und die fremdartige Blutgruppe des Pavians bilden würde. In einem späteren Interview räumte Bailey ein, einen Fehler „mit der Blutgruppe“ gemacht zu haben. Auf jeden Fall wolle er es noch einmal probieren: „Ich weiß, es wird funktionieren“ (stern Nr. 11/1990).

Damals, zum Zeitpunkt der Transplantation, wurde dem Wunderdoktor „Wunschdenken“ vorgeworfen. Weltweit entbrannte eine Diskussion darüber, ob es ethisch statthaft sei, die Organe von Tieren für Transplantationen zu verwenden. „Gegenwärtig“, so formulierten die deutschen Herzchirurgen Eberhard Struck (München) und Friedrich-Wilhelm Hehrlein (Gießen) auf einer Podiumsdiskussion „Affen als Ersatzteillager für Menschen?“ mit aller Vorsicht, „hätten wir einem Neugeborenen kein Affenherz implantiert“. Die Grenzen der Medizin sind damit allein durch die Gegenwärtigkeit, nicht durch das Ziel gesetzt. Schließlich, so der Kardiologe Hans-Werner Rautenburg (Gießen), „tun (wir) täglich etwas, was wir langfristig nicht beurteilen können“ oder auch „nicht wissen“ (FR vom 24. November 1984).

Immerhin wurden 33 Versuche seit 1905 unternommen, das Leben von Menschen durch die Organe von Pavianen „zu retten“. Durch Erfolgsmeldungen angestachelt, bat Bailey um die offizielle Erlaubnis, innerhalb eines Jahres fünf bis sieben Pavian-Herzen zu verpflanzen (Los Angeles Times, 6. Juli 1992). Ganz und gar fantastisch wären die affenartigen Möglichkeiten aber wohl erst dann, wenn zugleich die Genehmigung dafür erteilt wäre, Paviane für den Zweck der „Organernte“ (organ harvesting) zu züchten. Die Absicht besteht durchaus. Hervorgehoben wird dabei, daß Paviane, anders als Schimpansen, nicht zu den vom Aussterben bedrohten Tierarten gehören — eine Tatsache, die noch mehr auf Schweine zutrifft.

In Großbritannien haben nun die Bestrebungen, eine Farm mit transgenen Schweinen zu errichten, die als „donorpigs“ aufgezogen werden sollen, erneut Auftrieb bekommen (Sunday Times, 5. Juli 1992). Hier wie dort wird argumentiert, daß menschliche Organe knapp und das Risiko der „sichere Tod“ sei. Menschen essen Schweine, Menschen leben mit schweinischen Herzklappen, menschliche Bauchspeicheldrüsen werden mit Zellen von Schweinen injiziert, um Diabetes auszutreiben. Rudolf Pichlmayr, der meistgerühmte unter den deutschen Transplanteuren und Sprecher des Sonderforschungsbereichs Xeno-Transplantationen an der Medizinischen Hochschule Hannover, zeigte sich auf dem 109. Chirurgentag in München daher optimistisch. Er hält die Verpflanzung von Schweinenieren in den nächsten fünf bis zehn jahren für „durchaus denkbar“. Das Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft allein 1992 mit zwei Millionen Mark finanziert und läuft — vorerst — bis 1994.

Die Bedürfnisse der Evolution werden mit experimentellen Cocktails auf der Basis der als japanischen Wunderdroge gefeierten FK-506 immun gemacht. Dabei ist unerheblich, ob das zeitweilige Überleben mit einem tierischen Organ für ein menschenwürdiges Leben überhaupt ausreicht. Obwohl niemand glaubt, daß das Herz eines Pavians länger als sechs Monate für den Menschen zu schlagen vermag, scheinen am Ziel kaum mehr Zweifel zu bestehen. Sechs Monate — das ist die Zeit, in der dem Jahresbericht der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge zehn Millionen Menschen nur deshalb sterben müssen, weil sie nicht über eine medizinische Grundversorgung verfügen.